Begriff, Periodisierung und Rahmenbedingungen
Europa ist die Wiege des Journalismus. Das gilt nicht nur für den Begriff, sondern auch für die Sache selbst. Der Begriff ist französischen Ursprungs, abgeleitet von dem Wort für Tag ("jour"). Er kam infolge der Französischen Revolution 1789 in Gebrauch, als die gedruckte Presse zu einem Forum der Meinungsbildung wurde,1 und wurde im 19. Jahrhundert auch in anderen europäischen Ländern heimisch. Früher schon wurde die Tätigkeitsbezeichnung "Journalist" verwendet, zuerst vermutlich für die Urheber des Journal des Sçavans, der ersten wissenschaftlichen Zeitschrift der Welt, die 1665 in Paris herauskam. In England war die Berufsbezeichnung seit Beginn des 18. Jahrhunderts bekannt.2 Erst Ende des 18. Jahrhunderts erhielt "Journalist" seine allgemeinere Bedeutung und ersetzte allmählich ältere Bezeichnungen, wie z.B. in Deutschland den Ausdruck "Zeitungsschreiber" (auch: "Avisen-Schreiber") oder im Italienischen "novellante". "Journalismus" und "Journalist" sind in vielen europäischen Sprachen gängig geworden, nicht nur im Französischen ("journalisme") und Englischen ("journalism"), sondern auch im Deutschen ("Journalismus"), im Italienischen ("giornalismo"), im Portugiesischen ("jornalismo") oder Tschechischen ("žurnalismus"). Eine Ausnahme ist das spanische "periodismo", das auf die Regelmäßigkeit der ausgeübten Funktion als Kern des bezeichneten Phänomens abstellt.
Von der Definition des Begriffs hängt es ab, wann und wo man die Geschichte des Journalismus beginnen lässt. Wenn man Journalismus als eine "anglo-american invention" und ein "field of discursive production" mit eigenen Normen wie Objektivität und Neutralität betrachtet,3 kann man sie auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts datieren. Andere sehen die "Geburt" des Journalisten in Deutschland im 18. Jahrhundert und bringen sie mit der Aufklärung bzw. mit der Blüte des Zeitschriftenwesens in Zusammenhang.4 In beiden Fällen wird aber höchstens am Rande erwähnt, dass journalistische Aufgaben wie das gezielte Beschaffen und Bearbeiten von Nachrichten viel älter sind. Man kann dementsprechend die Berufsgeschichte mit einer "präjournalistischen" Periode beginnen lassen und am Wandel journalistischer Grundfunktionen drei weitere Entwicklungsphasen festmachen, den "korrespondierenden", den "schriftstellerischen" und den "redaktionellen" Journalismus (siehe unten).5 Auch eine systemtheoretische Funktionsbestimmung kann der Untergliederung der Geschichte des Journalistenberufs in Deutschland dienen, indem diese ebenfalls in vier (unterschiedlich lange) Phasen eingeteilt wird: "Genese" (1605–1848), "Formierung" (1849–6 Solch langfristige Periodisierungen liegen für andere Länder nicht vor, wenngleich für Frankreich die Gründungsphase ("fondation") des modernen Journalismus von 1880 bis 1918 datiert wird, an die sich eine "Konstruktionsphase" ("construction") von 1914 bis 1940 und eine Phase der Rekonstruktion ("reconstruction") bis 1950 anschließt.7
Die kulturelle Vielgestaltigkeit Europas macht es schwierig, die Geschichte des Journalismus auf diesem Kontinent kohärent zu beschreiben. Bedingt durch die jeweiligen historischen Umstände und die sprachlichen Grenzen, entwickelte sich dieses Tätigkeitsfeld vornehmlich im nationalen Kontext, obwohl seine Substanz auch transnationalen Charakter hatte. Diese nationale Fokussierung gilt auch für die Forschung, in der man sich vorrangig auf die Geschichte der Presse (und später anderer Medien) und weniger auf die Geschichte des Journalismus als berufliche Praxis konzentriert hat.8 So liegen zumeist nationale historische Darstellungen der Pressegeschichte vor, etwa für England,9 Frankreich,10 Deutschland,11 Italien12 und Spanien,13 während vergleichende und länderübergreifende Kompendien oder Studien bisher Ausnahmefälle sind.14 Trotz der nationalen Unterschiede gibt es in der Geschichte des Journalismus in Europa aber ähnlich verlaufende Entwicklungen. Auch an wechselseitigen Einflüssen zwischen den Ländern hat es nicht gefehlt, zu denen außereuropäische, insbesondere amerikanische, hinzukamen. Diese vollzogen sich allerdings teilweise zeitlich asynchron und mit unterschiedlicher Dynamik.
Vorgeschichte des Journalismus
Definiert man Journalismus so allgemein, dass die Nachricht seine Grundlage ist, und zwar nicht die private, sondern diejenige, die ein gesellschaftliches Interesse befriedigt, so existierte diese Betätigung schon, bevor technische Mittel zu ihrer Verbreitung zur Verfügung standen. Insofern kann man durchaus von einer "präjournalistischen" Phase in der Geschichte dieses Tätigkeitsfelds sprechen.15 Das menschliche Interesse an Nachrichten ist sozial motiviert und wurde schon im Mittelalter von bestimmten Personen befriedigt. Sänger und Spielmänner zogen von Ort zu Ort und machten Ereignisse, die sie gesehen oder von denen sie erfahren hatten, bekannt, so dass man sie als "wandernde Journalisten" bezeichnet hat.16 Ähnliche Funktionen erfüllten in England die Vorsänger von Balladen und "commemorative poems". In geschriebener Form wurden Ereignisse in den Anglo-Saxon Chronicles seit dem 8. Jahrhundert festgehalten. Man kann sie daher als Vorläufer der Presse ansehen.17
Der Bedarf an Nachrichten wuchs in der frühen Neuzeit mit den Entdeckungsreisen und der Ausbreitung der Handelsbeziehungen. Große Handelshäuser pflegten einen umfangreichen Briefwechsel mit ihren Niederlassungen. In Europa bildeten sich richtige Netzwerke für den Nachrichtenverkehr heraus, deren Grundlage der Ausbau der Postlinien war.18 Vom Augsburger Handelshaus der Fugger sind beispielsweise geschriebene Nachrichten aus den Jahren 1568–1605 überliefert (sogenannte Fugger-Zeitungen).19 Sie sind nicht die einzige, aber die bekannteste und bedeutendste Sammlung ihrer Art. Als Berichterstatter fungierten die in den Niederlassungen tätigen eigenen Angestellten (Faktoren), aber auch Agenten, Bekannte und Freunde. Überdies bediente man sich bezahlter Zeitungsschreiber und Novellanten, wie es sie im 16. Jahrhundert zuerst in Venedig gab.
Die Lagunenstadt und zumal der Rialto waren damals Zentren des Informationsaustauschs.20 So ist es kein Wunder, dass dort aus den Kaufmannsbriefen die avvisi als frühe geschriebene Nachrichtenblätter hervorgingen.21 Die Nachrichtenschreiber wurden in Venedig "reportisti" genannt (in Rom "menanti" und in Genua "novellari") und standen in einem zweifelhaften Ruf: "Sie galten als unzuverlässig, gar unglaubwürdig und standen im Ruch der Spionage."22 Nördlich der Alpen sind die ersten bezahlten Zeitungsschreiber im 16. Jahrhundert in Augsburg bekannt. Philipp Hainhofer (1578–1647) etwa betrieb im frühen 17. Jahrhundert dort ein Büro, in dem Nachrichten abgeschrieben und den Interessenten – meist Fürsten – zugestellt wurden.23 In Frankreich kursierten ebenfalls nouvelles à la main, und zwar auch später noch, weil sie der obrigkeitlichen Aufsicht entzogen blieben.24
Der korrespondierende Journalismus
Die entscheidende Voraussetzung für die Entfaltung des Journalismus in Europa war Mitte des 15. Jahrhunderts die Erfindung der Drucktechnik durch Johannes Gutenberg (ca. 1400–1468) in Mainz. Erst damit wurde die Möglichkeit geschaffen, Botschaften in großer Zahl zu vervielfältigen und zu verbreiten. Sehr bald ging man in Deutschland und an anderen Orten in Europa dazu über, damit auch Nachrichten zu drucken. Sie hatten unterschiedliche Namen, glichen sich aber in Inhalt und Form sehr stark.25 In Deutschland hießen sie Newe Zeytungen, in den Niederlanden Couranten, in Frankreich Canards, in England Corantos, Diurnalls oder Newsbooks, in Spanien Relaciones und in Portugal Relaçãos. Den Namen Gazette bekamen sie in Venedig. Diese Einzeldrucke schilderten meist politische, militärische und gesellschaftliche Ereignisse, aber auch Unglücke und Sensationen.
Die Drucker bekamen diese Nachrichten von Korrespondenten geliefert, die sich an Orten aufhielten, an denen wichtige Ereignisse stattfanden oder viele Informationen von anderswoher eingingen. Diese Korrespondenten erfüllten also quasi eine journalistische Funktion, was den Begriff eines "korrespondierenden Journalismus" rechtfertigt.26 Im Wesentlichen kamen drei Gruppen von Korrespondenten in Betracht:27 Erstens Beamte und Gesandte, die sich in Residenzen aufhielten oder in diplomatischer Mission unterwegs waren; zweitens Vertreter, die für ihre Handelsfirmen in anderen Städten ansässig waren; drittens humanistische Gelehrte, Angehörige der Universitäten und Klöster. Diese drei Gruppen konnten politische, wirtschaftliche und kulturelle, aber auch sensationelle Nachrichten liefern.
Ein Jahrhundert (und mehr) verging, bis aus den Newen Zeytungen, Corontos, Newsbooks, Diurnalls etc. die periodische Zeitung hervorging, das erste Massenmedium der Neuzeit, das regelmäßig in festen Intervallen herauskam. Nach mehreren Zwischenstufen geschah dies, soweit wir wissen, zum ersten Mal 1605 in Straßburg. Johann Carolus (1575–1634), der dort schon Nachrichten handschriftlich vervielfältigt und vertrieben hatte, begann damit, diese zu drucken und daraus eine Wochenzeitung zu machen (Relation).28 Der erste überlieferte Jahrgang stammt aus dem Jahr 1609. Im gleichen Jahr erschien in Wolfenbüttel bereits eine zweite Zeitung in deutscher Sprache (Aviso). Dieses Geschäftsmodell versprach so erfolgreich zu sein, dass schon bald Zeitungen auch an anderen Orten gedruckt wurden. Anderswo in Europa dauerte es einige Jahre oder Jahrzehnte, bis es dort damit auch so weit war.29
Die Zeitungen des 17. Jahrhunderts (und großenteils auch noch die des 18. Jahrhunderts) waren einander sehr ähnlich.30 Inhaltlich boten sie nüchtern abgefasste Berichte, zumeist über politische und militärische Geschehnisse aus verschiedenen Teilen Europas, die von dort ansässigen (Auslands-)Korrespondenten geliefert wurden. Es blieb folglich erst einmal beim "korrespondierenden" Journalismus. Einer Auswahl der Nachrichten bedurfte es nicht, weil deren Aufkommen noch begrenzt war und nach Möglichkeit alles, was verfügbar war, auch gedruckt wurde. Auf Überschriften und Schlagzeilen verzichtete man noch. Die Berichte wurden lediglich mit dem Ortsnamen und dem Datum ihrer Herkunft versehen aneinandergereiht.
Zunächst kamen die Drucker also zumeist ohne eigene Journalisten aus. Nur in einzelnen Fällen wissen wir, dass die Nachrichten im 17. Jahrhundert von einer speziell dafür zuständigen Person gekürzt, redigiert und (sprachlich) bearbeitet wurden. Erst im 18. Jahrhundert nahm an verschiedenen Orten der Nachrichtenfluss so zu, dass jemand fortlaufend die Aufgabe der Auswahl und der Vorbereitung für den Druck übernehmen musste. Das konnten sich aber nur große Zeitungen leisten, denen es auf Originalberichte ankam und die nicht bloß andere Blätter nachdrucken wollten. Letzteres kam aus Stoffmangel immer wieder vor, was die sprichwörtliche Redewendung von "Schere und Kleister" ("cut and paste") als journalistischen Arbeitsmitteln nach sich zog.
Was in den frühen Zeitungen ebenfalls noch so gut wie ganz fehlte, waren Meinungsartikel. Die Korrespondenten wollten den Lesern nicht ihre persönlichen Ansichten aufdrängen, sondern sie unterrichten, damit sie sich ihre eigene Meinung bilden konnten. Wenn man so will, besaßen sie ein Rollenverständnis als unparteiische und objektive Berichterstatter. Diese Zurückhaltung hatte aber auch einen Grund in der obrigkeitlichen Pressekontrolle, die unerwünschte Informationen und Meinungsäußerungen zu unterdrücken suchte. Die Zeitungen richteten sich vornehmlich an eine gebildete Leserschaft, bei der Kenntnisse zum Verständnis der Berichterstattung vorausgesetzt werden konnten. Die Auflagen waren noch vergleichsweise niedrig und beliefen sich auf kaum mehr als ein paar Hundert Exemplare.
Die Entstehung des Meinungsjournalismus
Im 18. Jahrhundert begann sich in Europa die Rolle des Journalismus zu wandeln. Zuerst geschah dies in England. Dafür gab es mehrere Gründe. Weil das britische Parlament 1695 den Printing Act nicht mehr verlängert hatte, herrschte im Vereinigten Königreich seitdem praktisch Pressefreiheit.31 Eine Vorzensur von Druckwerken gab es fortan nicht mehr, so dass die Zeitungen jetzt zu Organen des öffentlichen Meinungskampfs werden konnten. Dies galt umso mehr, da England schon ein Parlament besaß, in dem kontrovers debattiert wurde. Allerdings blieb die Parlamentsberichterstattung auch nach 1695 noch reglementiert. Erst seit 1772 wurde sie geduldet.32
Um Meinungen und Überzeugungen öffentlich zu verbreiten, waren allerdings schon im 16. Jahrhundert eigene Druckmedien vorhanden gewesen. Man hat sie in Deutschland als Flugschriften bezeichnet,33 in England als pamphlets.34 Zur Zeit der Reformation und in den anschließenden religiösen Konflikten erreichten sie Riesenauflagen (bis zu 4.000 Exemplaren je Ausgabe). Sie wurden meist von den Wortführern der religiösen und gesellschaftlichen Bewegungen selbst verfasst, waren also keine eigentlich journalistischen Produkte. In den rein katholischen Ländern Europas kamen sie zudem viel seltener vor oder fanden dort keinen fruchtbaren Boden.
Durch die Aufhebung des Printing Act war die Zahl der Zeitungen in England rasch gestiegen. Daher entstand eine starke Konkurrenz, so dass Blätter nicht selten auch wieder eingingen. Die Zeitungen begannen sich in dieser Phase von den kontinentalen abzuheben, da sie sich sowohl in den Inhalten als auch im Stil mehr erlauben konnten. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts bestand allerdings noch eine Rollentrennung: Für die Nachrichten hatte (zusammen mit den Anzeigen) der Drucker zu sorgen, für die essay section und andere gemischte Beiträge waren eigene Autoren zuständig.35 Sie mussten sich nicht auf nüchterne Berichte beschränken, sondern konnten auch kritische Artikel liefern und Stellung nehmen. Von Vorteil war, dass in England mit den Whigs und den Tories bereits ein bipolares Parteiensystem bestand, so dass es auch oppositionelle Zeitungen gab. Autonom war der Journalismus dennoch vielfach nicht, sondern eher propagandistisch, da sehr viele Blätter von der Regierung, den Parteien oder einzelnen Politikern finanziell unterstützt wurden.36 Zu den langlebigen Organen gehört das Daily Universal Register, das 1785 zum ersten Mal erschien. Drei Jahre später wurde daraus durch Umbenennung The Times, eine Zeitung, die zum Flaggschiff des unabhängigen britischen Journalismus werden sollte.
Im Zeitalter des Absolutismus war die Entwicklung der Presse in Frankreich durch Kontrollmaßnahmen reglementiert. Im Grunde bestand mit der 1631 gegründeten Gazette lange Zeit nur eine einzige Zeitung. Sie erschien in Paris, wurde aber in der Provinz nachgedruckt. Hinzu kamen seit den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts Zeitschriften wissenschaftlicher, literarischer, philosophischer und unterhaltender Art. Das Journal des Sçavans (seit 1665) gab – wie oben schon vermerkt – den Herausgebern solcher Blätter ihre Berufsbezeichnung. Es ist der Vielfalt dieser Organe geschuldet, wenn in Frankreich von 1600 bis 1789 mehr als 800 Journalisten identifiziert werden können.37 Allerdings sind es kaum mehr als ein Dutzend, wenn man unsere engere Berufsdefinition zugrunde legt. Zu der großen Zahl gelangt man nur, sofern man unter dem Begriff "Journalist" alle Personen subsummiert, die in dem Erhebungszeitraum in irgendeiner Weise an Presseorganen beteiligt waren (also selbst Drucker und Mitarbeiter aller Art).38
Der Ausbruch der Französischen Revolution führte 1789 zu einer Explosion der Presse (und des Meinungsjournalismus) in Paris, so dass die Zahl der Presseorgane binnen kurzem in die Hunderte ging.39 Mehrere prominente und radikale Revolutionäre betätigten sich selbst als Journalisten, unter anderem Camille Desmoulins (1760–1794), Jean-Paul Marat (1743–1793) und Jacques-René Hébert (1757–1794). Dank der Pressefreiheit konnten ideologisch und politisch konkurrierende Organe nebeneinander existieren, auch solche, die weiter der Monarchie anhingen. Letzteres änderte sich aber mit der Inhaftierung und Hinrichtung König Ludwigs XVI. (1754–1793).
Für das 18. Jahrhundert kann man von einem "schriftstellerischen" Journalismus sprechen und damit die dritte Phase der Berufsgeschichte datieren.40 Ansätze dazu finden sich aber schon im Jahrhundert zuvor bei manchen Zeitungs- und Zeitschriftenmachern. Nicht (mehr) die Nachricht stand im Zentrum ihrer Tätigkeit, sondern deren Einbau in größere Schilderungen oder räsonierende Erörterungen. Bei den Autoren handelte es sich häufig um "Personen im beruflichen Zwischenraum zwischen einer akademischen Ausbildung und einer erhofften vollen Stelle im Sinne der neuzeitlichen Berufsverfassung."41 Viele Autoren suchten im 18. Jahrhundert im aufblühenden Zeitschriftenwesen Fuß zu fassen. Blieb dies für manche lediglich ein Nebenberuf, den sie zusätzlich zu einer anderen (Haupt-)Tätigkeit ausübten, so stieg die Zahl derjenigen, die sich ausschließlich über den literarischen Markt als freie Schriftsteller zu etablieren (und zu finanzieren) suchten.42
Indizien für ein neues journalistisches Rollenverständnis zeigten sich im späten 18. Jahrhundert auch in Deutschland, insbesondere bei Schriftstellern, die sich der Aufklärung verschrieben. Einer von ihnen war Wilhelm Ludwig Wekhrlin (1739–1792)[]. Sein Wunschbild war der Journalist als "Spion des Publikums", der nicht nur Nachrichten bekanntmachte, sondern das Publikum vor falschen Begriffen warnen wollte.43 Auch als "Sittenrichter" und "Advokat der Menschheit" hat er den Journalisten etikettiert und damit moderne Rollenkonzepte vorweggenommen, so dass man ihn als Verfechter eines "advokatorischen Journalismus" betrachten kann. Praktisch ließ sich dieses Rollenverständnis, wie Wekhrlins Beispiel selbst zeigt, damals allerdings noch kaum umsetzen.
Seit ihren Anfängen, so ist behauptet worden, sei die Presse eine Domäne der Männer gewesen. Das heißt aber nicht, dass Frauen völlig bedeutungslos gewesen wären. Aktiv findet man sie schon bei den englischen Newsbooks der Puritanischen Revolution.44 Sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern wurden Frauen im 17. Jahrhundert und 18. Jahrhundert nicht selten Inhaberinnen von Druckereien, wenn ihre Ehemänner verstarben und sie das Erbe der Firma weiterführten. Autorinnen und Herausgeberinnen begegnet man zuerst im 18. Jahrhundert bei Zeitschriften, die sich an ein weibliches Lesepublikum wandten.45 In der politischen Presse wurden Journalistinnen erst später tätig. In Deutschland brachte Louise Otto-Peters (1819–1895)[] nach der Revolution von 1848 die Frauen-Zeitung heraus, die als frühes Organ der Frauen-Bewegung gelten kann.46 Letztere fand in den folgenden Jahrzehnten aber eher in Zeitschriften ihr Forum.47 In England konnten Frauen schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in viel stärkerem Maße den Journalistenberuf ergreifen und einen "weiblichen", ja feministischen Journalismus vertreten.48
Kommerzialisierung im 19. Jahrhundert
Noch im frühen 19. Jahrhundert, in einzelnen Ländern sogar noch weitaus länger, litt der Journalismus in Europa unter der amtlichen Kontrolle oder der Abhängigkeit von finanzieller Subvention. Neuerliche Unterdrückung am Anfang des Jahrhunderts ging auf das Konto Napoleon Bonapartes (1769–1821), der ein strenges Regiment über die Presse führte und sich selbst journalistisch als Verfasser von Bulletins hervortat.49 Sein Einfluss bewirkte auch in anderen Ländern eine Verarmung der Presse, setzte aber zugleich Gegenkräfte frei. Als er 1815 abtreten musste, schien für Presse und Journalismus eine Blütezeit bevorzustehen, doch war auch diese wieder nur von kurzer Dauer. Im Deutschen Bund wurde 1819 für drei Jahrzehnte abermals eine strenge Zensur verordnet ("Karlsbader Beschlüsse"), und auch in Frankreich selbst führte die Rückkehr der Bourbonen-Monarchie zur Restauration. Mit der Julirevolution 1830 nahmen dann oppositionelle Organe zu, die trotz abermaliger Versuche, die Freiheit zu beschränken, nicht mehr unterdrückt werden konnten.
Der Spielraum der Presse war aber auch kommerziell eingeengt, da die politischen Zeitungen sich anfänglich so gut wie ausschließlich aus dem Verkaufspreis finanzieren mussten. Die Einkünfte daraus reichten oft nicht hin, was Abhängigkeit von Geldgebern und Bestechlichkeit der Journalisten zur Folge hatte. Anzeigen konnten im 18. Jahrhundert fast nur in eigenen Organen veröffentlicht werden, etwa den Advertisern in England, den Intelligenzblättern in Deutschland und den Affiches in Frankreich. Erst nach der Freigabe des staatlichen Anzeigenmonopols (in Preußen erst 1850) und der Abschaffung der Anzeigensteuer (in England 1855, in Deutschland 1874) konnte sich die Presse in diesen Ländern voll kommerzialisieren. In den Vereinigten Staaten hingegen hatten Verleger schon in den 1830er Jahren die populäre Massenzeitung ("penny press") kreiert, die mit ganz anderen Inhalten aufwartete als die vorher noch dominierende Parteipresse.
Zunächst folgte man diesem Beispiel in Frankreich. 1836 erschienen gleich zwei Zeitungen der presse à bon marché, wie man sie dort nannte: Émile de Girardins (1806–1881) La Presse und Armand Dutacqs (1810–1856) Le Siècle. Beide machten den Anzeigenteil zur wesentlichen Finanzierungsquelle, so dass der Verkaufspreis gesenkt und ein profitabler Massenabsatz erreicht werden konnte. Auf politische Meinungsbildung wurde dabei keineswegs verzichtet, doch das Interesse größerer Leserkreise suchte man durch den Ausbau der Kultursparte (Feuilleton) sowie durch Klatsch und Mode-Themen zu gewinnen. Vonnöten war dafür ein anderer Typ von Journalist: Nicht mehr derjenige, der letztlich ein politisches Amt anstrebte, wie es oft der Fall war, sondern einer, der die Erwartungen der Leserschaft erfüllte.50
Zur erfolgreichsten Zeitung Frankreichs wurde im späten 19. Jahrhundert Le Petit Journal (seit 1862), das nur noch halb so viel wie La Presse kostete. Die Vermittlung praktischer Kenntnisse, Nachrichten aus der Alltagswelt, insbesondere Vermischtes (sogenannter "faits divers") sowie Romane "unter dem Strich" machten im Wesentlichen den Inhalt aus. Nach zwei Jahren wurde die Zeitung bereits in 260.000 Exemplaren gedruckt, 1887 waren es eine Million, so dass in der Gründung des Petit Journal die Geburt des modernen Journalismus in Frankreich gesehen wird.51 Sie brachte auch die Reportage als neues journalistisches (und literarisches) Genre mit sich. Nach 1880 ist sogar von einer Epoche der "großen Reporter" ("grands reporters") die Rede, die diese Rolle häufig noch mit der des Literaten verbanden.52
Seit den 1850er Jahren wurde die populäre Tagespresse auch in Großbritannien heimisch.53 Auslöser war dafür 1855 die Aufhebung der Stempelsteuer. Den Anfang machte der Daily Telegraph and Courier im gleichen Jahr, der seine Auflage bis 1880 auf 250.000 Exemplare steigern konnte. Mehrere weitere billige Massenzeitungen wurden um die Jahrhundertwende gegründet, so etwa die Daily Mail (1896), der Daily Express (1900) und der Daily Mirror (1903). Ihre Blüte war eine Folge der Industrialisierung, in deren Folge die Arbeiterklasse als Lesepublikum hinzutrat. Demgegenüber blieb Kontinentaleuropa zunächst rückständig.54
In Deutschland setzte die Kommerzialisierung der Presse später ein, da dafür noch die ökonomischen Voraussetzungen fehlten. Auch entstand im Gefolge der Revolution von 1848 zunächst einmal eine Parteipresse, die ihren Aufstieg aber erst nach der Reichsgründung 1871 erlebte, als ein nationales Parlament existierte. Parteizeitungen waren Organe des Meinungsjournalismus, die Journalisten selbst häufig Parteimitglieder. Eine journalistische und eine politische Tätigkeit gingen somit nicht selten Hand in Hand. Dies gilt insbesondere für die sozialdemokratische Presse, die ihren Personalbedarf aus den eigenen Partei- und den Arbeiterkreisen rekrutierte.55
In den 1870er Jahren liegen aber auch die Anfänge der Massenzeitung in Deutschland. Der spezielle Zeitungstyp, der sich dabei herausbildete, erhielt den Namen "General-Anzeiger". Auch er wurde vorwiegend aus Anzeigen finanziert und wollte eine breite Leserschaft gewinnen, vor allem durch Lokalberichterstattung und Verzicht auf politische und religiöse Kontroversen. Ferner wurde dem Unterhaltungsstoff viel Platz eingeräumt. "General-Anzeiger" erschienen in Berlin (Berliner Lokal-Anzeiger) und anderen Großstädten des Reiches. Sie erzielten Auflagen von 100.000 bis über 200.000 Exemplaren, die es bis dahin in Deutschland nicht gegeben hatte.
Zudem entfaltete im 19. Jahrhundert der amerikanische Journalismus seine Vorbild-Wirkung, vor allem in Großbritannien, was die Rede vom "anglo-american concept" zur Folge hatte.56 Später breiteten sich amerikanische Usancen im Journalismus auch in anderen europäischen Ländern aus.57 Das Schlagwort "Amerikanisierung" erhielt aber immer öfter auch einen negativen Beiklang, da man in dem damit bezeichneten Phänomen eine Bedrohung der eigenen (journalistischen) Kultur sah und mit Ablehnung reagierte. Jedenfalls lässt sich für Deutschland eine "verspätete Modernisierung" des Journalismus konstatieren,58 die zu Beginn der 1880er Jahre auch der amerikanische Schriftsteller Mark Twain (1835–1910) sarkastisch kommentiert hat.59
Die Professionalisierung des Journalismus
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts professionalisierte sich der europäische Journalismus.60 Schon der Bedarf an Journalisten nahm zu, weil die Presse in mehrfacher Hinsicht expandierte. Dazu trugen vor allem die Innovationen in der Drucktechnik bei. Die Zahl der Titel erhöhte sich enorm, die Formate wurden größer, der Seitenumfang wuchs an. Auch wurde der Inhalt vielfältiger. Um die Jahrhundertmitte hatten die Leser wöchentlich in jeder Zeitungsausgabe dreißig- bis sechzigmal so viel zu lesen wie diejenigen zwei Jahrhunderte zuvor.61 Die Beschaffung und Bearbeitung dieser Stoffmenge machte eine steigende Zahl von Journalisten erforderlich, zumal man die Zeitungsseiten jetzt "aufzumachen" begann, also sie inhaltlich gliederte und die Artikel mit Überschriften und Schlagzeilen versah. Das wurde fortan zu einer Aufgabe der Journalisten. Mit der Ausdifferenzierung des Zeitungsinhalts ging zudem eine Spezialisierung im Journalistenberuf einher: Neben den Politischen Redakteur traten der Handels- und Feuilletonredakteur, dazu der (Theater-)Kritiker, der Gerichtsberichterstatter sowie die Redakteure fürs Lokale und später den Sport.
Umstritten war die im deutschen Journalismus lange Zeit gepflegte Anonymität, hinter der sich der Verfasser eines Artikels verbarg.62 Während die Befürworter dies als Ausdruck des "Kollektivismus" der Zeitungsproduktion rechtfertigten, kritisierten die Gegner daran die mangelnde Transparenz und Verantwortung. In England hat man dieses Prinzip auf die Repräsentativverfassung zurückgeführt. Wo sich die Pressefreiheit durchsetzte, zog dies die (gesetzliche) Forderung nach Namensnennung nach sich, so auch in Frankreich 1850. Dem Prinzip der Anonymität entsprach der eingeschränkte Urheberschutz für Presseinhalte: Ohne ausdrücklichen Rechtsvorbehalt waren Artikel zum Nachdruck freigegeben, nur Ausarbeitungen wissenschaftlichen, technischen und unterhaltenden Inhalts waren geschützt. Vermischte Nachrichten und Tagesneuigkeiten konnten stets aus anderen Organen übernommen werden.
Vor 1848 wird die Zahl der Journalisten in Deutschland auf um die 400 geschätzt, am Ende des Jahrhunderts dürften es 2.500 gewesen sein,63 1906 wiederum schon ca. 4.600. Entgegen lang gehegter anderer Annahmen besaßen die (deutschen) Journalisten im 19. Jahrhundert einen hohen Bildungsgrad. Das gilt schon für den Vormärz.64 Zudem herrschte eine akademische Überproduktion, für die weder in Staat noch Wirtschaft hinreichend Positionen bereitstanden, so dass der literarische Markt seit langem überbevölkert war.65 Nach 1848 zog der Journalistenberuf somit Leute an, die anderswo in der Gesellschaft keine Berufschancen hatten, etwa aus politischen Gründen. Während der Journalismus für manche eine "Rettung" aus persönlichen Zwangslagen bedeutete und andere diesen Beruf als "verhinderte Schriftsteller" ergriffen, wurde er für eine zunehmende Zahl zum von vornherein angestrebten Ziel.66 In anderen Ländern Europas war es nicht viel anders. In England stammten die Journalisten gewöhnlich aus den niederen Schichten der Mittelklasse, doch waren unter ihnen auch nicht wenige mit Universitätsabschluss.67 Fließend blieben die Grenzen zwischen Journalismus und Literatur vor allem in Frankreich und Italien.
Strenggenommen fehlten dem Journalismus die Voraussetzungen für eine Professionalisierung, wie sie andere Berufe der modernen Gesellschaft erlebten.68 Doch kann man in Deutschland im späten 19. Jahrhundert neben der Entwicklung des Journalismus zu einem Hauptberuf ("Verberuflichung") schon eine "informelle Professionalisierung" diagnostizieren,69 die sich in dem entstehenden Selbstverständnis, den damit verbundenen Normen sowie dem Einfluss auf die Rekrutierung des eigenen Berufsnachwuchses zeigt. Für den Fortschritt der Professionalisierung sprechen auch die Entstehung von Standes- und Berufsorganisationen sowie die am Ende des 19. Jahrhunderts einsetzenden Bemühungen um die Journalistenausbildung (siehe unten).
Redaktion
Zeitungen wurden seit dem 17. Jahrhundert lange Zeit hergestellt, ohne dass dafür Journalisten im eigentlichen Sinne nötig waren. Dementsprechend fehlten auch Redaktionen. Mit diesem Begriff bezeichnet man in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert zunächst "die Gruppe der Redakteure, die ein 'Druckwerk' leiten", er verweist aber seit der Jahrhundertwende "gleichzeitig auf den Vorgang des Redigierens von Nachrichten, auf einen materiellen Raum, in dem Medieninhalte bearbeitet werden, und auf die Personengruppe, die als Redakteure Medieninhalte beschaffen, bearbeiten und koordinieren. Ort und soziale Praxis sind damit bereits begrifflich denkbar eng verbunden und bedingen sich gegenseitig."70
Materielle Räume für diese Zwecke wurden seit dem frühen 19. Jahrhundert nötig, soweit einzelne Angestellte hauptberuflich redaktionelle Aufgaben für den Drucker übernahmen. Wir wissen beispielsweise, dass in dem Gebäude, das der Verleger Johann Friedrich Cotta (1764–1832) in Augsburg 1823 kaufte, Wohnungen für die Redakteure der Allgemeinen Zeitung sowie drei Redaktionszimmer vorhanden waren. Wohn- und Arbeitsräume lagen direkt nebeneinander und in der Nähe zur Druckerei, so dass man gewissermaßen von einer "Wohnredaktion" sprechen kann.71 Da Cotta in seinem Verlag, dem ersten Pressekonzern in Deutschland, mehrere publizistische Organe herausbrachte, führte er als erster auch eine Art Pool-System ein, in dem Mitarbeiter an verschiedenen Titeln kollektiv mitwirkten.72 In dieser Phase des "redaktionellen Journalismus" gab der journalistisch tätige freie Schriftsteller oft seine Selbständigkeit auf (bzw. verlor seine Unabhängigkeit) und wurde zum Angestellten des Verlegers.73
Mit der Expansion und inhaltlichen Ausdifferenzierung der Zeitungen (samt der Vermehrung des zu beschaffenden Stoffes) wuchs im 19. Jahrhundert der Bedarf an Redakteuren und an Räumen, in denen diese ihrer Arbeit nachgingen. Dabei bildete sich eine für Deutschland typische Redaktionsform heraus, die der Untergliederung des Zeitungsinhalts in verschiedene Ressorts oder Sparten entsprach. An einem Gang entlang führten in den Verlagsgebäuden Türen in einzelne Zimmer, in denen die zuständigen Redakteure für Politik (gegebenenfalls untergliedert in Teilgebiete), Handel / Wirtschaft, Feuilleton und Regionales / Lokales ihren Platz hatten. Der Chefredakteur besaß ein eigenes Zimmer, darüber hinaus konnten gesonderte Räume für die Bibliothek, für Redaktionskonferenzen oder für den Besucherempfang bestimmt sein. Nach dem Einzug neuer Techniken in die Zeitungshäuser wurden ferner auch Telefon und Fernschreiber untergebracht.74
Da in Deutschland jedoch in der Mehrzahl der Fälle kleine Zeitungen mit geringen Auflagen und begrenztem Umfang angeboten wurden, dürften viele in Ein-Personen-Redaktionen entstanden sein. Noch Anfang der 1920er Jahre gab es häufig eine Personalunion von Verleger und Alleinredakteur. Als eine der größten Redaktionen galt am Ende des 19. Jahrhunderts diejenige des Berliner Lokal Anzeigers, nachdem die Zahl der Redakteure von drei (1883) auf 46 (1899) angestiegen war.75
Auch in England besaßen die Druckereien lange Zeit keine Redaktion bzw. kein editorial office (oder news room, der sich später im englischen Sprachgebrauch einbürgerte): "[J]ournalism was compiled and written on an ad hoc basis outside the print shop."76 Nachrichten zusammenzustellen wurde erst nach und nach im Nebenberuf von Autoren übernommen. Diese verfassten häufig publizistische Artikel anderer Art, beispielsweise essays und literarische Beiträge zu Wochenblättern, die sich in ihren Titeln als journal bezeichneten. Viele Zeitungen stellten zudem Übersetzer an, die sich um ausländische Zeitungen kümmerten,77 oder Autoren, die hinter lokalen Neuigkeiten her waren und den journalistischen Typ des Reporters verkörperten. 1813 wurde dieser Begriff in England erstmals gebraucht,78 der für den anglo-amerikanischen Journalismus prägend werden sollte.79 Die Funktion des reisenden Reporters trennte sich so von der des editors, der innerredaktionelle Aufgaben erfüllte.
Für den britischen Journalismus, der in seiner modernen Form ebenfalls erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts entstand, wurde diese arbeitsteilige Rollendifferenzierung charakteristisch, in deren Zuge sich die Zuständigkeiten des editors weiter ausgliederten. Dergleichen konnte sich erst mit dem Ausbau der Redaktionen vollziehen.80 Bestimmend für die Rollentrennung war insbesondere, dass Berichterstattung, Kommentierung und Gestaltung auf verschiedene Personen verteilt wurden. Dazu im Gegensatz steht die Tradition des deutschen Journalismus, die sich seit dem 19. Jahrhundert herausbildete. Sie gilt als "ganzheitlich", weil Berichterstattung und Kommentierung häufig von ein und demselben Journalisten stammen. Man hat hier von einer "Rollenüberlappung" gesprochen. Die späte Gewährleistung der Pressefreiheit und die strukturellen Bedingungen der Redaktionsorganisation führten dazu, dass in Deutschland die journalistische Norm der Trennung von Nachricht und Meinung, die im anglo-amerikanischen Journalismus zum Leitbild wurde, sich nicht recht durchsetzen konnte.
Auch die räumlichen Verhältnisse unterschieden sich: Während für Deutschland die Separierung der Teilredaktionen typisch war, entstanden in Großbritannien (und den USA) Großraum-Redaktionen mit Arbeitstischen für die einzelnen Journalisten. In den Redaktionsräumen, die im 19. Jahrhundert bei den französischen Zeitungen üblich wurden ("salles de rédaction"), dominierte ein zentraler Tisch. An ihm nahmen die einzelnen Journalisten Platz, wenn sie Artikel schrieben oder bearbeiteten, nach zeitgenössischen Schilderungen von einer eigentümlichen Arbeitsatmosphäre umfangen.81
Im übrigen Europa konnten Indizien für eine frühe Funktionstrennung im Journalismus in Dänemark ausgemacht werden.82 Die Lage Skandinaviens am nördlichen Rand Europas machte die Presse dort abhängig von Informationen ausländischer Zeitungen, die man zum Teil in großer Zahl bezog, übersetzte und auswertete. Seit den 1880er Jahren kam es auch in diesen Ländern zu einer Expansion des Pressewesens, und große (Hauptstadt-)Zeitungen erhielten eigene Gebäude mit (zunächst wenigen) Räumen für die Journalisten. Deren Zahl ließ sich bei einzelnen Organen vor der Jahrhundertwende noch an einer Hand abzählen, stieg aber in den darauf folgenden Jahrzehnten auf mehr als das Doppelte an. Damit stand die Nachrichtenbeschaffung und -bearbeitung in den großen Städten der Länder Skandinaviens nicht weit hinter derjenigen Londons zurück.
Im Süden Europas hingegen war die Entwicklung der Presse bis zum Ende des 19. Jahrhunderts unterentwickelt. In Spanien hatten die meisten Zeitungen niedrige Auflagen und besaßen nicht einmal eine eigene Druckerei, ja entbehrten eine professionelle Redaktionsorganisation.83 Die ersten großen modernen Zeitungen entstanden in den ersten Dezennien des 20. Jahrhunderts. In der Redaktion der Zeitung ABC (1903 gegründet) befanden sich zunächst mehrere isolierte Arbeitsplätze. Doch wurde, um die Koordination der verschiedenen Redaktionsaufgaben zu verbessern, bald ein großer Gemeinschaftstisch in der Mitte aufgestellt. Nach einiger Zeit führte das Wachstum der Zeitung und ihres Verlags aber auch hier zu einer räumlichen Ausdifferenzierung professioneller Organisationsfunktionen. Die 1917 ins Leben gerufene Zeitung El Sol griff bereits die Prinzipien des anglo-amerikanischen Journalismus auf, trennte Unterrichtung und Kommentierung voneinander und stärkte die Rolle der Redaktionsleitung.
Journalistische Berufsorganisationen
Im Prozess der Professionalisierung des Journalismus kam es in Europa auch zur Gründung journalistischer Berufsorganisationen, die gemeinschaftliche Interessen vertreten und eine Identität der Angehörigen dieses Berufs anstreben sollten. In Deutschland reichen die Anfänge journalistischer Organisationsbestrebungen bis in die dreißiger und vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts zurück. Als Vorläufer können der Preß- und Vaterlandsverein (seit 1832/1833),84 der Leipziger Literatenverein (seit 1842)85 und der Wiener Journalisten- und Schriftstellerverein "Concordia" (seit 1859)86 gelten.
Die ersten Ansätze zu einer umfassenden Journalistenorganisation gingen von den deutschen Journalistentagen aus, die seit 1864 stattfanden.87 Auf alljährlichen Treffen befasste man sich mit Pressegesetzgebung, Altersversorgung, Stellenvermittlung, Annoncenwesen etc. und fasste entsprechende Resolutionen, die sich an Staat, Arbeitgeber (Verleger) und Öffentlichkeit richteten. Aufgrund der föderalen Dezentralisierung entstanden auch auf lokaler Ebene journalistische Berufsorganisationen, etwa der Verein Berliner Presse und der Frankfurter Journalisten- und Schriftstellerverein. Der 1895 gegründete Verband deutscher Journalisten- und Schriftstellervereine (VDJSV) bildete dann die erste umfassende und zentrale Berufsorganisation,88 die sich u.a. um die Namenszeichnung von Artikeln, die Einführung von Identitätskarten (Journalistenausweise), um den Einfluss auf Gesetzgebung und Verwaltungsmaßregeln sowie um Wohlfahrts- und Versicherungseinrichtungen kümmerte.
So verdienstvoll dieser Verband war, so erfüllte er doch nicht das immer stärker empfundene Bedürfnis nach einer engeren Berufs- und Standesvertretung ausschließlich für Journalisten. Darin sah der 1902 gegründete Verein Deutscher Redakteure (VDR) seine Aufgabe,89 dessen Existenz aber von zahlreichen Kontroversen begleitet war, was zu einer Spaltung des Vereins führte.90 Dies impliziert die beträchtlichen Differenzen, die in diesem Berufsfeld noch herrschten, und die Schwierigkeiten, Partikularinteressen zu überwinden und eine kollektive Identität zu entwickeln. Letzteres gelang erst, als 1910 der Reichsverband der Deutschen Presse (RDP) als übergreifende Berufsorganisation der Journalisten in Deutschland geschaffen wurde.91 Er vertrat die Interessen der Journalisten auch in der Weimarer Republik,92 bevor er im Dritten Reich in das System der staatlichen Medienkontrolle eingebunden und für propagandistische Zwecke instrumentalisiert wurde.
Noch im 19. Jahrhundert waren journalistische Berufsorganisationen auch in vielen anderen Ländern Europas entstanden, weitere folgten nach der Jahrhundertwende.93 Auch dort waren die Motive das Bedürfnis nach öffentlicher Anerkennung, das Bestreben, die ungefestigte eigene soziale Lage zu verbessern, für die Pressefreiheit und Journalistenrechte einzutreten und das professionelle (Selbst-)Bewusstsein zu stärken. Häufig standen ebenfalls lokale Initiativen am Anfang.94
Die ganz ähnlich gearteten berufsständischen Bestrebungen in verschiedenen Ländern legten schon bald nahe, sich auch auf internationaler Ebene zu vereinigen.95 Ein erstes Treffen von Vertretern Englands, Frankreichs und Belgiens fand 1893 in London statt, ein Jahr später waren in Antwerpen schon Journalistenorganisationen aus 15 Ländern anwesend. Man vereinbarte, sich jedes Jahr zu treffen, gab sich Statuten, richtete ein permanentes Büro ein und wollte alle möglichen materiellen und ethischen Fragen des journalistischen Berufs diskutieren. 1896 wurde dann in Budapest formell die Union internationale des associations de presse (UIAP) gegründet. Sie dehnte sich in den folgenden Jahren auch auf andere Teile der Welt aus und umfasste vor dem Ersten Weltkrieg 100 Journalistenvereinigungen mit rund 18.000 Journalisten.96 Auf der Jahrestagung in Bern 1902 hatte man über den Gesinnungsschutz von Journalisten bei Besitzerwechsel von Zeitungen debattiert, in Lüttich drei Jahre später über das Redaktionsgeheimnis. Eine internationale Identitätskarte für Journalisten wurde gefordert. Insgesamt hat man die Bilanz der UIAP bis 1914 allerdings als mager bewertet, da sie mit ihren Resolutionen wenig Konkretes erreicht habe.97 Andererseits fehlt es aber auch nicht an gegenteiligen Indizien.98
Um die tiefen Gräben der Feindschaft nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs zu überwinden und die Interessengemeinschaft zu stärken, suchte man in den 1920er Jahren auch im Journalismus die internationale Verständigung und Zusammenarbeit zu verbessern. 1926 wurde auf Betreiben französischer Journalisten die Fédération Internationale des Journalistes (FIJ) ins Leben gerufen, der sich viele nationale Journalistenverbände anschlossen99 und die dazu beitragen sollte, die materielle Lage der Journalisten zu verbessern, ihre berufliche Unabhängigkeit zu festigen und das moralische Niveau des Journalismus zu heben. Zudem verfolgte die FIJ das Ziel, die Gesamtinteressen der Weltpresse zu fördern und das wechselseitige Verständnis der Journalisten verschiedener Länder weiterzuentwickeln. Zu ihren Initiativen gehörte beispielsweise ein internationaler Ehrengerichtshof für Journalisten, der am 12. Oktober 1931 im Friedenspalast von Den Haag eröffnet wurde. Dies kam im Grunde aber schon zu spät, da sich die Umstände mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland grundlegend veränderten. Gleichwohl bestand die FIJ in Paris fort und wurde erst nach dem Einmarsch der deutschen Truppen dort 1940 aufgelöst.
Journalistenausbildung
Um den wachsenden Bedarf an Journalisten seit dem 19. Jahrhundert zu decken, drängten Personenkreise in diesen Beruf, die das bis dahin nicht getan hatten. Dabei kam es zu einem Absinken des Bildungsgrades. Hatten Mitte des Jahrhunderts 87,5 Prozent der Journalisten in Deutschland einen Universitätsabschluss gehabt, so waren es um 1900 noch 78,5 Prozent.100 Mithin wurde es mehr und mehr üblich, dass Journalisten ihren Beruf ohne Ausbildung oder allenfalls mit praktischer Anleitung ergriffen. Indem das Niveau der Vorbildung der Journalisten abnahm und der Beruf manch zweifelhafte Existenzen anzog, teilte der Journalismus nach dem berühmt gewordenen Urteil des Soziologen Max Weber (1864–1920) das Los, "einer festen sozialen Klassifikation zu entbehren… und zu einer Art Paria-Kaste [zu gehören], die in der 'Gesellschaft' stets nach ihren ethisch tiefststehenden Repräsentanten sozial eingeschätzt wird."101 Dabei geriet der Journalismus in die Nähe des Künstlertums und der Bohème. Parallel dazu entstand die These vom Journalismus als einem "Begabungsberuf", also einer Sache des individuellen Talents, zu der man "geboren" sein müsse. Sie hat die Bemühungen um eine systematische Journalistenausbildung lange Zeit behindert.
Die geschilderten Umstände lösten aber auch Überlegungen aus, für Journalisten eine spezifische Berufsausbildung vorzusehen. In Deutschland gingen die ersten Ansätze dazu von der journalistischen Praxis aus,102 und um die Jahrhundertwende wurden auch die ersten Versuche unternommen, die Journalistenausbildung im akademischen Raum zu verankern. Die frühesten Spuren führen an die Universität Heidelberg, doch dieser Versuch scheiterte nach kurzer Zeit. 1916 gründete Karl Bücher (1847–1930), Ex-Redakteur der Frankfurter Zeitung und dann Professor für Volkswirtschaftslehre, das Institut für Zeitungskunde an der Universität Leipzig. Er gilt deshalb als Vater der neueren Zeitungswissenschaft und der mit ihr verbundenen akademischen Tradition der Journalistenausbildung.103 Diese in Deutschland durchzusetzen, blieb allerdings schwierig. In den 1920er Jahren gab es kaum mehr als eine Handvoll zudem schwach ausgestatteter Universitätsinstitute, da das Volontariat in der Redaktionspraxis der Hauptweg in den Journalistenberuf blieb. Erst den Nationalsozialisten war es aus durchsichtigem Interesse wichtig, etwas für die Ausbildung der Journalisten zu tun.104
Auch in den anderen Ländern Europas konnten eigene Ausbildungswege für Journalisten nur zögerlich entstehen. In Großbritannien hielt man besonders lange an der Regel des "on-the-job-training" fest, das der Presse dort am besten geeignet schien, sich für einen freien Beruf die in der Praxis notwendigen Fertigkeiten anzueignen. Die einzige Ausnahme von dieser Regel bildete ein zweijähriger Journalismus-Kurs am King's College der University of London von 1922 bis 1939.105 In Frankreich reichen die Anfänge der Journalistenausbildung zwar weiter zurück, blieben aber ebenfalls spärlich.106 In der Schweiz gingen die ersten journalistischen Seminare 1903 in Zürich und Bern ans Werk. Aus dem Jahr darauf stammt der erste niederländische Journalistenlehrplan, der aber erst vier Jahre später umgesetzt wurde.107 Strukturierte Lehrprogramme entstanden erst nach 1930. Spanien erlebte in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts mehrere kurzlebige Initiativen zur Journalistenausbildung. Darunter war diejenige der katholischen Zeitung El Debate die bedeutendste, deren Institut für Journalismus stark an amerikanischen Vorbildern orientiert war und von 1926 bis zum Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs 1936 bestand.108 1941 richteten die neuen Machthaber ein eigenes Institut ein, nicht nur um Journalisten auszubilden, sondern auch um den Zugang zu diesem Beruf zu kontrollieren. In Italien, das eine ähnliche journalistische Tradition hat wie Frankreich, verzichtete man auf journalistische Ausbildungsangebote sogar bis in die 1970er Jahre.109
Die Vereinigten Staaten gelten als das Land, in dem zuerst eine Tradition der akademischen Journalistenausbildung entstand. 1908 erhielt die University of Missouri die erste eigenständige School of Journalism,110 und mit Unterstützung des Großverlegers Joseph Pulitzer (1847–1911) begann 1912 der Lehrbetrieb der School of Journalism der Columbia University in New York. Nicht nur die zeitliche Priorität zeichnet diese Einrichtungen aus, sondern auch ihre formelle Organisation, die Lehrprogramme und die stilbildende Ausstrahlung auf zahlreiche nachfolgende Einrichtungen. Dies hat zu einer Professionalisierung der amerikanischen Journalisten beigetragen, der sich Europa erst im fortgeschrittenen 20. Jahrhundert angenähert hat, auch was die Ausbildung für diesen Beruf angeht.
Zwischen politischer Instrumentalisierung und technischen Innovationen: Journalismus im 20. Jahrhundert
Die Entwicklung des Journalismus in Europa war im 20. Jahrhundert einerseits durch die Zwänge bestimmt, die aus den politischen Verhältnissen resultierten, andererseits aber auch durch technische Innovationen, die neue Massenmedien entstehen ließen. Diese wiederum zwangen den Journalismus zur Anpassung an die veränderten Anforderungen.
Historisch war das 20. Jahrhundert durch totalitäre Regime und durch zwei Weltkriege gekennzeichnet. Diese Umstände schränkten die errungene Autonomie der Journalisten in den betreffenden Ländern ein oder machten sie ganz zunichte. In Russland, wo die Liberalisierung der Presse nach dem Tod des Zaren Nikolaus I. (1796–1855) ohnehin vergleichsweise spät begonnen hatte, führte die bolschewistische Revolution 1917 zur Errichtung eines totalitären kommunistischen Systems. Den Vorgaben von Vladimir I. Lenin (1870–1924) folgend, hatten Journalisten die Aufgaben der Propaganda, Agitation und Organisation zu erfüllen111 und wurden so zu Dienern der politischen Machthaber herabgestuft. Man hat den Journalismus in der Sowjetunion daher eine "antithesis oft the anglo-american news paradigm" genannt.112
Auch in den faschistischen Diktaturen, die in den 1920er Jahren in Italien113 und nach 1933 in Deutschland errichtet wurden, sollten Journalisten der herrschenden Ideologie dienen und die Ziele der Regierungen unterstützen. Dazu bauten insbesondere die Nationalsozialisten in Deutschland ein ausgeklügeltes System der Medienlenkung auf. Außer rechtlichen Vorschriften und organisatorischen Maßnahmen gehörten dazu detaillierte Anweisungen an die Journalisten, wie sie zu berichten und zu kommentieren hatten.114
Unter besonders starken Druck gerieten die Journalisten in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts (1914–1918; 1939–1945). In der Regel ergriff man in den betroffenen Ländern erneut Zensurmaßnahmen und versuchte, die Presse zu einem Propagandainstrument zu machen. Selbst in Ländern, die ihre demokratische Ordnung bewahrten, also in England, hatten amtliche Stellen den Auftrag, Einfluss auf die Journalisten zu nehmen. Sie sollten nach außen für die Interessen des Landes eintreten und nach innen die Kriegsmoral der Bevölkerung stärken. In Frankreich stand die Presse nach der Eroberung des Landes durch deutsche Truppen 1940 in weiten Teilen unter Zensur der Besatzungsmacht. Die Journalisten gerieten in eine Kluft zwischen Kollaboration und Résistance.115
In der Zwischenkriegszeit hatte man in Deutschland (wie in anderen Ländern Europas) zwar formal wieder Bedingungen für einen freien, demokratischen Journalismus herstellen können, doch litt dieser nicht nur unter den Kriegsfolgen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Er geriet vielmehr in das Spannungsfeld der erbitterten ideologischen Konflikte zwischen den politischen Extremen von rechts (Nationalsozialisten) und links (Kommunisten). Gleichwohl brachte die Weimarer Republik herausragende journalistische Leistungen hervor, die bis heute als Vorbilder gelten.116
Die offene oder verdeckte Instrumentalisierung des Journalismus wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in den demokratischen Ländern weitgehend eingestellt, zumal sich auch das Umfeld für den Journalismus veränderte. In den westlichen Besatzungszonen Deutschlands suchten die Siegermächte die Voraussetzungen für einen freien und unabhängigen Journalismus zu schaffen. Vor allem die Amerikaner wollten erreichen, dass ihre journalistischen Regeln von den Deutschen übernommen würden. Dies versuchten sie in den ersten Nachkriegsjahren durch Kontrolle und direkte Anleitungen.117 Insbesondere sollte durch die Trennung von Nachricht und Meinung der Meinungsjournalismus überwunden werden, der in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert gepflegt wurde und im Dritten Reich auf die Spitze getrieben worden war.
Die Entwicklung des Journalismus im 20. Jahrhundert war in Europa (wie in anderen Teilen der Welt) ferner vor allem durch technische Innovationen geprägt. Die Entdeckung der elektromagnetischen Wellen ließ den Rundfunk als auditives Massenmedium entstehen, das in allen europäischen Ländern in den 1920er Jahren eingeführt wurde. Zumeist wurde der Rundfunk staatlich oder staatsnah organisiert, nur in Großbritannien nahm die British Broadcasting Corporation (BBC) 1927 aufgrund einer Royal Charter den Charakter eines "public service"-Unternehmens an. Die Organisationsstrukturen wirkten sich auch auf den Journalismus im Radio aus: Das Medium selbst wurde anfänglich häufig mehr zur Bildung und Unterhaltung eingesetzt. Doch fanden auch Informationssendungen ihren Platz im Programm. Die journalistischen Formate waren zunächst noch vom Vorbild der Presse geprägt und wurden erst im Laufe der Zeit um spezifische Darstellungsformen wie Reportagen und Interviews ergänzt. Die im Radio mögliche Direktübertragung ließ zudem den Radioreporter als journalistischen Typus entstehen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg trat ein weiteres Massenmedium hinzu, das Fernsehen. Seine Anfänge reichen zwar weiter zurück, aber seine Ausbreitung war zunächst durch den Krieg unterbrochen und verzögert worden. So begann das Fernsehen in den Ländern Europas mehr oder weniger gleichzeitig erst in den 1950er Jahren, setzte sich aber binnen eines Jahrzehnts überall durch. In manchen Ländern blieb seine Organisation staatsnah (z.B. in Frankreich), im Ostblock befand es sich (wie der Rundfunk) ganz in Staatsbesitz. Mehrere der westeuropäischen Länder folgten dem Modell der BBC und boten Fernsehen in verschiedenen Varianten als "public service" an: in den skandinavischen Ländern, in Deutschland, Österreich, der Schweiz und auch in Italien.
Journalismus hieß jetzt auch, bewegte Bilder zur Vermittlung von Informationen einzusetzen. Dafür mussten wiederum neue Formate entwickelt oder diejenigen der Kino-Wochenschau und des Radios adaptiert werden: Direktübertragungen, Nachrichtensendungen, Magazine, Dokumentationen, Interviews, Talkshows etc. Das audio-visuelle Medium bedarf einer technisch höchst komplexen Produktion, so dass neben dem eigentlich journalistischen Teil weitere Berufsrollen erforderlich wurden (Kameramann, Cutter etc.). Im "public service"-Fernsehen waren die Journalisten trotz der korporativen Kontrolle weitgehend unabhängig, frei vom Druck der Einschaltquoten und den Präferenzen der Zuschauer. Das änderte sich, als in den 1980er Jahren, bedingt durch neue Übertragungstechniken (Kabel, Satellit), auch in Westeuropa privatwirtschaftlicher Rundfunk zugelassen wurde.