Lesen Sie auch den Beitrag "Printers: new cultural actors in Europe beginning in the late fifteenth century" in der EHNE.
Einleitung
Märkte sind Kommunikationsräume: Sie stellen ökonomische Austauschbeziehungen her, schaffen dabei Verbindungen zwischen Menschen, schlagen Brücken zwischen entfernten Orten und stiften, gleichsam als Nebeneffekt, fruchtbare Kulturkontakte. Für den Buchmarkt gilt dies in besonderer Weise, weil seine Güter Wissen und Wertvorstellungen transportieren. Damit kommt ihm eine spezifisch kulturstiftende und kulturintegrative Funktion zu. Allerdings gilt es sich bewusst zu machen, dass ein so weit gefasster Begriff immer eine Abstraktion bzw. ein Konstrukt darstellt. Zum einen ist der Markt für Bücher in einem hohen Maß an Sprachräume gebunden. Buchmärkte sind "Sprachmärkte". Zum anderen zerfällt er selbst innerhalb eines Landes, entsprechend den vielfältigen Produkt- und Zielgruppen, in einzelne Märkte (z.B. den "Schulbuchmarkt") oder einzelne Marktsegmente. Dass sich auch die historischen Erscheinungsformen dessen, was wir Buchmarkt nennen, beträchtlich unterscheiden, ist evident.
Bezogen auf das Buch als Medium, in Abhebung von anderen Medien, ist die Rede vom Buchmarkt aber doch mehr als eine "publizistische Metapher", gerade vor einem länderübergreifenden, europäischen Horizont. Denn wenn es auch nicht möglich ist, die Geschichte aller nationalen Buchmärkte gleichzeitig in den Blick zu nehmen oder eine Summe daraus zu bilden, so erscheint es doch sinnvoll zu fragen, ob und wann es zur Herausbildung von transnationalen Marktstrukturen gekommen ist, welche Art von Interaktion, Kooperation und Zentrenbildung es gegeben hat, welche kulturellen Transferleistungen Buchmärkte erbringen und welche Rolle insbesondere der deutsche Buchmarkt in diesen Zusammenhängen gespielt hat.
Zu fragen ist letztlich auch nach dem Verhältnis von Buchmarkt und Geschichte in einem tiefer gehenden Sinn. Unstreitig sind es immer wieder Veränderungen in den Kommunikationsverhältnissen einer Gesellschaft, die den historischen Prozess vorantreiben. Buchmärkte haben daher, als ein wichtiges Element dieser Kommunikationsverhältnisse und gleichsam als materielles Substrat des Ideenverkehrs, einen spezifischen Anteil am historischen Wandel. Aus dieser Einsicht ergibt sich wiederum die konkrete Frage nach dem Beitrag, den nicht nur das Medium Buch als solches, sondern auch dessen Märkte für die Herausbildung einer integralen europäischen Kultur in der Vergangenheit geleistet haben oder in der Zukunft, im politisch vereinten Europa, noch leisten können. Bezeichnenderweise hat ja die Europäische Union in den 1950er Jahren als gemeinsamer Markt ihren Anfang genommen. Inzwischen versucht sie aber über die ökonomische Dimension für die Staatengemeinschaft hinaus – bei aller Anerkennung regionaler Identitäten – eine kulturelle Dimension zu entwickeln. Dabei nimmt sie eine bis in die Antike zurückreichende Idee von Europa wieder auf. So wird auch eine europäische Geschichte des Buchmarkts den Faden dort aufnehmen, "wo alles begonnen hat".
Vorstufen und Frühformen in der Antike
Die Entstehung von Hochkulturen war stets mit dem Gebrauch von Schrift verbunden. Schriftträger unterschiedlicher Art ermöglichten die Verbreitung und Speicherung von Wissen über zeitliche und räumliche Distanzen. Die Handschrift, besonders in Form der Papyrusrolle, seit dem 4. nachchristlichen Jahrhundert auch als Pergamentkodex, war über viele Jahrhunderte im vorderasiatischen und europäischen Raum das Medium, das entscheidend zur Herausbildung einer abendländischen Kultur beigetragen hat. Jede Handschrift stellt im Grunde ein Unikat dar. Dies gilt in gewisser Hinsicht auch für die davon genommenen Abschriften. Das Abschreiben bzw. Abschreibenlassen durch Sklaven zu privatem Gebrauch war in der Antike übliche Praxis, um sich in den Besitz eines Textes oder Werkes zu bringen. Für den attischen Bürger des 5. vorchristlichen Jahrhunderts scheint Bücherbesitz nichts Außergewöhnliches gewesen zu sein. Auch gab es in den philosophischen Akademien zum Teil bedeutende Bibliotheken. Bereits im antiken Griechenland wurde mit Handschriften gehandelt, auch im Sinne "antiquarischer" Bücher. Sie wurden von herumziehenden Händlern oder auf Märkten angeboten, vereinzelt wird auch bereits von Buchläden berichtet.1 Überregionale Verbreitung fanden Handschriften überdies im Zuge von Eroberungen oder gezielter Sammeltätigkeit, etwa durch das Bestreben der Bibliothekare von Alexandria, sich in den Besitz möglichst vieler Handschriften zu bringen. Einen Aufschwung erfuhr das gesamte Buchwesen in hellenistischer Zeit.
Im antiken Rom bildeten sich zur Versorgung der Privatbibliotheken ebenso wie der öffentlichen Bibliotheken entwickeltere Formen des Buchhandels heraus. Das Abschreiben von Texten wurde gewerblich betrieben. Gelegentlich wurde durch Diktieren die gleichzeitige Vervielfältigung von Vorlagen bewerkstelligt. Die private Abschrift behielt daneben ihre überragende Bedeutung. Die verlegerische Funktion der Vervielfältigung auf Vorrat fand ihre Entsprechung im Verkauf der Handschriften in Buchhandlungen, wobei der Buchhändler (librarius oder bibliopola) in seinem Laden (taberna libraria) das Angebot durch Werbung am Portal bekannt machte. Neben dieser Form des stationären Buchhandels ist auch die Entstehung eines Fernhandels zu beobachten. In der Kaiserzeit dürfte es bereits ein weitgespanntes buchhändlerisches Netz gegeben haben, so dass etwa Horaz (65–8 v. Chr.) mit der Verbreitung seiner Bücher in Spanien, Afrika oder in Lyon rechnen konnte.2
Dieses System des Fernhandels verschwand mit dem Fall des Imperium Romanum – für fast tausend Jahre fehlte in Europa jede Möglichkeit, Dienstleistungen eines kommerziell betriebenen Buchhandels in Anspruch zu nehmen!3
Buchkultur und Handschriftenhandel im europäischen Mittelalter
Gleichwohl bildete sich seit Gründung des Klosters Vivarium durch Cassiodor (ca. 485 – ca. 580) im 6. Jahrhundert mit dem abendländischen Mönchstum der Träger einer glanzvollen Buchkultur heraus. Die in den Skriptorien zwischen Irland und dem Bodensee, zwischen Byzanz und Burgund entstandenen illuminierten Handschriften gehören zu den großartigsten Kulturdenkmälern Europas, wenn es auch im Wechsel mit Blüteperioden Zeiten eines nachlassenden Schreibeifers, des Verfalls der Bibliotheken und der klösterlichen Wissenschaftspflege gegeben hat. Ein "Markt" für diese Bücher hat aber zu keinem Zeitpunkt existiert. Bücher wurden gestiftet, vor allem aber pflegten die Mönchsorden Bücher von anderen Klöstern auszuleihen, um Abschriften davon anzufertigen. Gekauft oder verkauft wurden Bücher nur in Ausnahmefällen. Dafür, dass diese Buchkultur trotzdem eine europäische Dimension hatte, sorgte nicht allein die länderübergreifende Struktur der Kirche und der Mönchsorden wie etwa der Benediktiner, sondern z. B. auch die ausgreifende Wirkung der karolingischen Reform. In allen Zeitabschnitten des Mittelalters lassen bereits die Stilmerkmale der Buchmalerei erkennen, dass es einen epochal und überregional wirksamen Transfer von Buchformen und -gestaltungen gegeben hat. Nicht zuletzt trug die klösterliche Buchproduktion entscheidend dazu bei, die Überlieferung des heidnisch-antiken, europäisch-abendländischen Denkens nicht gänzlich abreißen zu lassen.
Eine neue Situation ergab sich mit der Gründung von Universitäten seit dem 12. Jahrhundert. In Bologna, Padua und Paris, dann auch in Prag, Wien und vielen anderen Städten entstanden Zentren der Wissenschaft und damit neue Zentren des Buchwesens. Die Versorgung der Professoren, Magister und Studenten mit Literatur war durch Verordnungen geregelt, denen zufolge das (korrekte!) Abschreiben und Verleihen von Schriften vereidigten Beamten der Universität ("Universitätsverwandten") aufgetragen wurde, den stationarii. Daneben gab es in Westeuropa, jedenfalls in Paris, auch librarii, denen ein begrenzter Handel mit Schriften gestattet war.4 Der Verkauf an andere Universitäten war allerdings verboten, so dass dieser Art von Buchhandel eine rein örtliche Bedeutung zukam.
Das Wiederentstehen von Buchhandelsstrukturen wurde außerdem begünstigt durch Dom- und Klosterschulen sowie durch fürstliche Kanzleien, mit denen sich eine kleine außerkirchliche Schicht der litterati, der Schreib- und Lesekundigen, auch der Lateinkundigen herausbildete. Hinzu kam seit Mitte des 13. Jahrhunderts in Zentraleuropa die Verbreitung eines neuen Beschreibstoffs, des Papiers, das bis um das Zwanzigfache billiger war als das Pergament. Auch hatte die Erfindung des Lesesteins, des Vorläufers der Brille, nicht zu unterschätzende Auswirkungen auf die Erweiterung des Lesepublikums.5 Die markante Vermehrung der Handschriftenproduktion und "Verbürgerlichung" der Literatur im Spätmittelalter ist durch solche Faktoren mitbewirkt worden. Entscheidend für die Entwicklung neuer Buchmarktstrukturen war aber der wirtschaftliche Aufschwung der Städte und die Entstehung eines neuen laizistischen Lesepublikums, bestehend aus Ratsherren oder Kaufleuten, die nunmehr des Lesens und Schreibens, auch des Lateinischen kundig sein mussten.
Konsequenterweise dynamisierte sich in Italien der Handschriftenhandel besonders schnell, etwa im Florenz des 14. und 15. Jahrhunderts unter den Medici, in deren Auftrag insbesondere der Buchhändler Vespasiano da Bisticci (1421–1498) wirkte. Für ihn arbeiteten zeitweise 25 Lohnschreiber gleichzeitig, und er betrieb sein Gewerbe auch noch sehr aktiv, als der Buchdruck bereits erfunden war. Für den Herzog Cosimo von Medici (1389–1464) fertigte er innerhalb von 22 Monaten 200 Prachthandschriften an. Er belieferte aber auch den ungarischen König Matthias Corvinus (1443–1490), einen der engagiertesten Büchersammler der Zeit, mit zahlreichen Handschriften in aufwändigen Einbänden.
Im deutschsprachigen Raum war der Handschriftenhandel nicht in gleicher Weise entwickelt. In der älteren Literatur wird aber immer wieder auf die "moderne" Schreiberwerkstatt von Diebold Lauber (vor 1427 – nach 1471)[] in Hagenau im Elsaß verwiesen. Lauber hat zwischen 1425 und 1467 auf Bestellung für Bischöfe, Herrscherhäuser und andere höhergestellte Kunden gearbeitet. Er soll aber auch für ein "anonymes" Publikum vor allem Papierhandschriften – populäre Literatur wie Helden- und Rittergedichte, Reimbibeln, Wahrsagebücher, Arzneibücher – auf Vorrat hergestellt und seine Kunden über Buchanzeigen gefunden haben oder auf Büchermärkten, die zu besonderen Anlässen abgehalten wurden, etwa bei den Konzilen von Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449). Neuere Forschungsergebnisse relativieren allerdings dieses Bild.6 Es muss damals jedoch auch im deutschsprachigen Raum Wanderhändler gegeben haben, die – nachdem seit 1380 die Erfindung des Holzschnitts bekannt geworden war – neben Spielkarten und Andachtsbildchen auch xylographische Blockbücher (Biblia Pauperum, Ars moriendi) einem halbliterarischen Publikum verkauften. Unmittelbar vor Erfindung des Buchdrucks waren also wieder kommerzielle Formen der Bücherdistribution entstanden.
Die Erfindung des Buchdrucks und seine Folgen für den europäischen Buchmarkt
Mit der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern änderte sich die Lage um die Mitte des 15. Jahrhunderts noch einmal entscheidend, da mit dem Druck einer Auflage von mehreren hundert oder auch mehreren tausend Exemplaren eine Büchermenge entstand, die (außer bei Einblattdrucken, Flugblättern etc.) nicht mehr am Druckort selbst abgesetzt werden konnte. Das Vertriebsproblem war damit manifest geworden. Es waren die Messen und Märkte der großen Handelsstädte, auf denen die ersten gedruckten Bücher angeboten und gehandelt wurden. Entsprechend breitete sich die Buchdruckerkunst entlang der großen europäischen Fernhandelsstraßen7 aus (Straßburg 1461, Köln 1466, Rom 1467, Basel 1468, Augsburg 1468, Venedig 1469 etc.). Bis 1500 waren es 73 Druckorte, wobei für den Zeitraum 1480 bis 1520 Venedig als das Zentrum der Druck- und Buchkultur angesehen werden kann. Mit dem innerhalb weniger Jahrzehnte entstandenen, von Valencia bis Krakau, von Lyon bis Lissabon reichenden Netz von Produktionsstandorten bildeten sich im Rahmen intensiver Handelsbeziehungen erste Ansätze einer gesamteuropäischen Buchmarktstruktur heraus, die zunächst den im Zeichen des Humanismus geführten intellektuellen Debatten eine Plattform bot.8
Die Vertriebsformen waren in der Frühdruckzeit in raschem Wandel begriffen.9 Zunächst lag – wie im Handschriftenhandel – die gesamte Geschäftstätigkeit, Produktion und Vertrieb, vereinigt in der Hand des Druckerverlegers. Mit steigender Produktion blieb ihm allerdings immer weniger Zeit, um die für den Absatz notwendigen ausgedehnten Reisen zu unternehmen. Er musste daher die Dienste Dritter in Anspruch nehmen. Zum einen konnte der Drucker Niederlassungen im Ausland gründen: Die Mainzer Johannes Fust (ca. 1400–1466) und Peter Schöffer (ca. 1475–1547) etwa, der ehemalige Geldgeber und der Gehilfe Johannes Gutenbergs (ca. 1400–1468), errichteten in Paris, Schöffer dann auch in Angers, Filialen. Der Nürnberger Anton Koberger (ca. 1440–1513) baute ebenfalls in Paris und u.a. auch in Lyon oder Basel Zweigvertriebe auf. Dafür wurde ein "Faktor" eingestellt, der sich um den Vertrieb kümmerte. Dieser internationale Vertrieb war möglich, weil ein großer Teil der Produktion in lateinischer Sprache erschien, der damaligen lingua franca der Wissenschaft. Zum anderen nahm der Drucker "Buchführer" in seinen Dienst, die sich im regionalen Rahmen um den Vertrieb der Drucke kümmerten. Bei den Buchführern handelte es sich zunächst um nichtselbständige Buchhändler, die ihr Gewerbe ambulant betrieben. Sie besuchten vor allem die größeren Märkte und Messen – in Straßburg, Nördlingen, Frankfurt und Leipzig, aber auch in Naumburg oder Augsburg. Ihre Bücherfässer oder -ballen lagerten sie in Herbergen und ihre Ware zeigten sie durch Aushängezettel an Wirtshaustüren oder Kirchenportalen an. Sie verteilten aber auch bereits gedruckte Verzeichnisse, die bis zu 200 Titel umfassen konnten. Auf diese Weise entstanden Bücherlager, die im Weiteren zu Knotenpunkten des Vertriebssystems wurden. In diesen verzweigten lokalen Auslieferungs- oder Wandersortimentslägern können die Anfänge eines stationären Buchhandels gesehen werden.
Bedeutsam für die Ausdifferenzierung der Marktstrukturen war aber auch der nächste Schritt: Die erste und noch die zweite Generation der Druckerverleger vertrieb ja nur die eigene Produktion, mit der das Publikum oft nicht zufrieden gestellt werden konnte. Den Empfehlungen ihrer Buchführer folgend, begannen sie damit, fremden Verlag in ihr Vertriebssortiment aufzunehmen. Oder aber ein Faktor machte sich selbständig und stellte sich aus den begehrtesten Titeln verschiedener Drucker ein breites Warenangebot, ein attraktives Sortiment zusammen. Damit war der Buchhändler im klassischen Sinne des Begriffs geboren.
Während des gleichen Zeitraums, noch in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, traten auch die Funktionen des Druckens und Verlegens auseinander. Der Drucker beschränkte sich darauf, Druckaufträge anzunehmen, wurde also zum Lohndrucker. Die Vorfinanzierung der Auflage, das "Vorlegen" der Druckkosten, übernahm der Buchhändler, der sich zum Verlegersortimenter wandelte. Mit den auf seine Veranlassung und auf seine Kosten gedruckten Büchern fuhr er nun regelmäßig zu den Buchmessen, um dort Bogen gegen Bogen eigenen Verlag gegen fremden Verlag einzutauschen. Dieses System der Bücher-"Change" hielt sich, mit einigen Modifikationen, rund 200 Jahre bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Frankfurt war inzwischen zum Mittelpunkt des Buchmarktgeschehens im Heiligen Römischen Reich und darüber hinaus geworden.10 Bereits Peter Schöffer, der Gutenbergs Werkstatt weitergeführt hatte, war mit seiner Ware nach Frankfurt gegangen und war damit der wohl erste Druckerverleger, der die Messe besuchte. Andere folgten, z.B. aus Nürnberg Anton Koberger, der seine Offizin zu einem Großbetrieb ausgebaut hatte und sich in Frankfurt ein eigenes Gewölbe als Bücherlager bauen ließ, oder aus Basel die Verleger Johannes Amerbach (1444–1513), Johann Froben (ca. 1460–1527) oder Johannes Petri (1441–1511). Die Blüte des Humanismus führte nicht nur Verleger der deutschsprachigen und frankophonen Schweiz nach Frankfurt, sondern ebenso Verleger aus Paris, Venedig, Verona, Rom, Antwerpen und aus vielen anderen Zentren der Gelehrsamkeit und des frühen Buchdrucks. Seit der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert entwickelte sich so die Frankfurter Messe mit ihrem halbjährlichen Rhythmus zu einer stäniederländischen Buchhändler. Das Geschäftsarchiv des 1555 von Christoph Plantin (ca. 1520–1589) gegründeten Druck- und Verlagsunternehmens, des bedeutendsten jener Epoche, enthält ein "Livre de Francfort", das die in Frankfurt getätigten Abschlüsse verzeichnet. Das Archiv gibt exemplarisch Auskunft über die Bedeutung der europäischen Buchhändlerbeziehungen und ist 2001 ins Weltdokumentenerbe der UNESCO aufgenommen worden.
Schon früh haben einzelne Buchhändler Angebotslisten oder, nach ihrem Einkauf auf der Messe, Listen der Neuerwerbungen für ihre Kunden drucken lassen, 1564 als erster der Augsburger Buchhändler Georg Willer (1514-1593)[]. 1592 kam ein umfassender Messkatalog als Zusammenfassung der seit 1564 erschienenen Buchhändlerkataloge (mit fast 2.000 französischen Titeln!) heraus. Seit 1598 gab es einen amtlichen Messkatalog, der bis zur Ostermesse 1750 erschien und von dem es zwischen 1617 und 1628 sogar eine englische Ausgabe gab. Mess- und Sortimentskataloge waren als nachhaltige Marktinformation eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren des Buchmarkts, zumal die Bücher damals einen sehr viel längeren Produktlebenszyklus hatten; viele Titel blieben jahrzehntelang lieferbar.
Wie in der Inkunabelzeit des 15. Jahrhunderts gab es auch im 16. Jahrhundert noch vereinzelte Beispiele dafür, dass Druck- und Verlagshäuser auf einen europaweiten Aktionsradius angelegt waren. Dazu zählte etwa die "Große Kompagnie", ein "joint venture" von Kölner und Mainzer Verlegern, die eine großräumige Verbreitung katholischer Literatur anstrebten und insbesondere zu Italien enge Geschäftsbeziehungen aufbauten, aber auch z. B. den spanisch-niederländischen und polnischen Markt sowie bis ca. 1570 England belieferten.11 So sehr Reformation und Gegenreformation die Entwicklung der gedruckten Medien, vor allem das volkssprachliche Schrifttum und insgesamt die Massenkommunikation befördert hatten,12 so ambivalent waren deren Folgen für die buchhändlerischen Beziehungen innerhalb des europäischen Kontinents: Mit der Konfessionalisierung des Buchhandels entstanden neue Verbindungen und Kooperationsstrukturen, aber auch Demarkationslinien, Handelsbarrieren und Störungen, was ebenfalls den Messverkehr betraf.
Verlagerungen der buchhändlerischen Handelszentren im 17. Jahrhundert
Im 16. und 17. Jahrhundert rivalisierte die Frankfurter mit der Leipziger Buchmesse. Daneben gab es noch die international besuchten jährlichen Buchmessen in Lyon und Paris sowie weitere, zum Beispiel in Straßburg. Für die nordischen Länder war Lübeck ein Bücherumschlagplatz. Während nach Frankfurt Buchhändler (und übrigens auch viele Gelehrte) aus allen Gegenden Europas kamen, gewann Leipzig – mit Unterbrechungen während des Dreißigjährigen Kriegs – fortlaufend an Terrain bei den aus protestantischen Territorien kommenden Buchhändlern, die sich von der in Frankfurt als Instrument der Gegenreformation agierenden Kaiserlichen Bücherkommission benachteiligt fühlten. Die Rivalität zwischen den beiden Büchermessen war seit Beginn des 18. Jahrhunderts zugunsten Leipzigs entschieden. Zusätzlich negativ wirkte sich für Frankfurt aus, dass im Zuge der Aufklärung und der Modernisierung der Wissenschaften der Markt für lateinischsprachige Bücher zurückging und der protestantische Norden eine geistig-kulturelle Vormachtstellung errang. Seit 1750 erschien für die Frankfurter Buchmesse kein eigener Messkatalog mehr. 1764 gaben dann die marktbeherrschenden Leipziger Verleger das Signal zum endgültigen Rückzug aus der Stadt am Main.
Der Bedeutungsverlust Frankfurts als internationaler Handelsplatz für gelehrte und geistliche Literatur hatte seinen Anfang mit dem Dreißigjährigen Krieg genommen und dessen katastrophalen Auswirkungen auf die Transport- und Reiseverhältnisse. Fortgesetzt hatte sich der Bedeutungsverlust nach 1650, weil sich das Tauschhandelsverfahren, das dem deutschen Buchhandel so viele praktische Vorteile bot (geringes Kapitalerfordernis, Umgehung der komplizierten Währungsumrechnungen etc.), für die internationalen Geschäftsbeziehungen als zunehmend dysfunktional erwies. Die ausländischen Buchhändler hatten wenig Interesse an dieser Handelsform und blieben nach und nach den Büchermessen fern. Parallel dazu waren inzwischen die Niederlande zur Drehscheibe des europäisch-kontinentalen Bücherumschlags avanciert, zum "bookshop of the world".13 Nachdem sie England schon im ausgehenden 15. Jahrhundert mit Stundenbüchern und Brevieren im venezianischen Stil oder, nach dem Tod des englischen Erstdruckers William Caxton (1422–1491), mit unterhaltender Literatur, zu Reformationszeiten vor allem von Antwerpen aus auch mit verbotenen protestantischen Büchern beliefert hatten, blieben die niederländischen Großbuchhändler für die britische Insel die wichtigsten Lieferanten französischer, italienischer und deutscher Bücher. Die englische Wissenschaft war – vor allem bis zur Gründung der Cambridge University Press (1584) und der Oxford University Press (1586), aber auch später noch – vom kontinentaleuropäischen Buchmarkt abhängig geblieben. Für andere europäische Länder erbrachten die niederländischen Drucker und Buchhändler, wie die Elzeviers in Leiden, ebenfalls wichtige Leistungen in der Literaturvermittlung und der Verknüpfung nationaler Buchmärkte, vor allem durch die Veranstaltung lateinischsprachiger Nachdrucke ausländischer (englischer, später auch französischer) Literatur. Amsterdam und andere Städte gewannen außerdem Bedeutung als freigeistige Druck- und Vertriebsorte von verbotener Literatur, übrigens auch durch Techniktransfer im Bereich der Typographie.
Der europäische Buchmarkt im Zeitalter der Aufklärung
Das Jahrhundert der Aufklärung erweist sich auch im Blick auf die europäischen Buchmarktverhältnisse als eine Epoche des Wandels. Tiefgreifende Veränderungen ergaben sich allein dadurch, dass das Lateinische seinen Status als internationale Wissenschaftssprache verlor (nur für Universitäts- und Schulschriften behielt es noch einige Zeit seine Bedeutung) und durch die jeweiligen Landessprachen ersetzt wurde. So ging im deutschen Sprachraum der Anteil der lateinisch geschriebenen Bücher schon seit 1700 und dann zwischen 1740 und 1800 noch einmal von rund 28 Prozent auf knapp vier Prozent zurück. Damit fand der Prozess der nationalsprachlichen Ausdifferenzierung der Buchmärkte seine Fortsetzung. Wenn im 18. Jahrhundert noch einmal ein letzter Aufschwung der gesamteuropäischen scientific community zu beobachten ist, so beruhte dieser nicht mehr auf lateinischsprachiger Kommunikation, sondern war getragen von intensiver Korrespondenz in den Landessprachen (häufig auch in Französisch) sowie der zunehmenden Lektüre fremdsprachlicher Texte im Original oder in einer Übersetzung.
Weitere Faktoren dieses Wandels waren die Entstehung einer bürgerlich-räsonierenden Öffentlichkeit sowie kulturelle Schwerpunktverlagerungen innerhalb Europas, mit denen im Zeichen aufklärerischen Denkens vor allem englisches und schottisches sowie französisches Geistesleben maßstabsetzend wurde. Die Beschaffung von Originalausgaben aus England oder Frankreich erwies sich allerdings als schwierig: Das Angebot ausländischer Buchhändler, die sich auf das Tauschhandelsverfahren ihrer deutschen Kollegen kaum noch einlassen wollten, war auf den Buchmessen inzwischen stark zurückgegangen, so dass die deutschen Buchhändler kaum noch wussten, wie sie die Gelehrten und die Universitäten mit ausländischen Büchern beliefern sollten. Nur einige wenige von ihnen betätigten sich als Importeure. Es bildeten sich daher unterschiedlichste, vielfach private Distributionswege heraus. Insbesondere die immer noch engen, auch durch die Akademiebewegung geförderten gelehrten Netzwerke erwiesen sich als bedeutsam in Fragen der Buchbeschaffung. Zwischen London und St. Petersburg machten Gelehrte einander auf Neuerscheinungen aufmerksam und veranlassten auf Wunsch auch die Versendung von Büchern oder übernahmen die Versendung selbst. Sie substituierten oder ergänzten auf diese Weise das System des Buchhandels, der die neu entstandene Nachfrage nicht befriedigen konnte. Auch wurden Reisen zur Buchbeschaffung genutzt bzw. andere Reisende mit "Bücherkommissionen" beauftragt. Im Ausland lebende Privatpersonen fungierten als Bücheragenten.14 Hinzu kam der private Fernleihverkehr im Freundes- und Bekanntenkreis.
Bedeutung gewann jetzt auch das Übersetzungswesen, ausgelöst vor allem durch die steigende Nachfrage nach englischem Schrifttum auf dem Kontinent. Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert erschienen in den Niederlanden zahlreiche, oft von hugenottischen réfugiés angefertigte Übertragungen ins Französische, ebenso französischsprachige Originalwerke und Zeitschriften, die von dort aus europaweite Verbreitung fanden. Literatur aus Frankreich wurde meist im Original gelesen. Auch in vielen anderen europäischen Ländern stieg im Zeichen aufklärerischer Ideenzirkulation die Zahl der Übersetzungen an.
Einen Markstein im buchhändlerischen Informationswesen setzte das von dem Leipziger Buchhändler und Verleger Theophilus Georgi (1674–1762) von 1742 bis 1758 in fünf Bänden und drei Supplementbänden herausgebrachte Allgemeine Europäische Bücher-Lexicon, das alle Bücher verzeichnen wollte, die zwischen 1455 und 1739, hauptsächlich aber im 17. Jahrhundert, "in dem europäischen Theile der Welt, sonderlich aber in Teutschland sind geschrieben und gedrucket worden". Das Werk blieb unvollendet, insbesondere konnte der internationale Anspruch nicht eingelöst werden. Die Bände eins bis vier beschränkten sich auf deutsche und lateinische Bücher. Der fünfte Band verzeichnete französische Schriften. Die geplante Verzeichnung spanischer, italienischer, englischer und portugiesischer Titel kam nicht zustande. Dennoch stellen die rund 120.000 Titelaufnahmen Georgis, die u.a. auch die Bogenzahl und den Verkaufspreis enthalten, den bemerkenswerten und im Grunde letzten Versuch dar, den europäischen Buchmarkt in seiner diachronen und synchronen Dimension bibliographisch überschaubar zu machen.
Entscheidend für die zukünftige Entwicklung war aber die in der zweiten Hälfte (in Deutschland im letzten Drittel) des 18. Jahrhunderts einsetzende Dynamisierung des Buchmarkts. Die Aufklärungsbewegung hatte einen Aufschwung der periodischen Medien Zeitung und Zeitschrift15 nach sich gezogen und eine neue Leserschaft mit neuen Lektüregewohnheiten entstehen lassen. Nicht mehr nur die Gelehrten, sondern ein anonymes bürgerliches Publikum, mit einem hohen Anteil von Leserinnen, bildete jetzt einen Absatzmarkt, der mit dieser Umstrukturierung nicht nur deutlich größer wurde, sondern auch ein neues Bücherangebot voraussetzte. Die Umstellung von der intensiven Wiederholungslektüre von Bibel und Erbauungsbuch auf die extensive Novitätenlektüre von Romanen und populärwissenschaftlichen Publikationen führte wenn nicht zu einer "Leserevolution", so zumindest aber zu einer verstärkten Nachfrage und einer Ausweitung des Marktes. Dieser musste die Buchbranche mit einer Umstellung der Handelsusancen und einer funktionalen Trennung von Verlag und Sortimentsbuchhandel entsprechen. Der Tauschhandel wich zuerst dem "Nettohandel", also dem Bargeschäft, und dann dem "Konditionshandel", das heißt der Zusendung der Neuerscheinungen mit Remissionsrecht. Der Messhandel in Leipzig wandelte sich zum reinen Abrechnungsgeschäft. Begleitet waren diese Umbrüche von Auseinandersetzungen zwischen dem buchhändlerischen Norden und dem Süden von tiefgreifenden Interessenkonflikten, die u.a. mit dem Mittel des Nachdrucks ausgetragen wurden. Die Teilung des bibliopolischen Deutschland konnte jedoch im 19. Jahrhundert überwunden werden. Mit dem 1825 gegründeten "Börsenverein der Deutschen Buchhändler" entstand ein wirksames Instrument des Interessenausgleichs. Mit dem stufenweisen Fortschreiten urheber- und verlagsrechtlicher Regelungen sowie der Durchsetzung des vom Verleger bestimmten "festen Ladenpreises" ("Kröner'sche Reform" 1886/1887) waren wichtige Voraussetzungen für die geordnete Weiterentwicklung des deutschen Buchmarktes gegeben.
Zwischen Nationalisierung und internationalem Austausch: Der europäische Buchmarkt im 19. Jahrhundert
Das 19. Jahrhundert war gekennzeichnet vom Erstarken nationalistischer Ideen und Tendenzen, an denen auch der Buchhandel Anteil hatte. So waren Verleger und Buchhändler in der antinapoleonischen Front an vorderster Front zu finden. Unter ihnen war auch Friedrich Christoph Perthes (1772–1843), dessen Diktum vom "deutschen Buchhandel als Bedingung des Daseins einer deutschen Literatur" den Gedanken von der Kulturnation als einer Präfiguration der politischen Nationwerdung auf den Punkt brachte. Die Auffassung von der nationalen Kulturmission des Buchhandels prägte das Bewusstsein der deutschen Verleger und Buchhändler bis ins 20. Jahrhundert. Auch der Aufstieg des Konzepts "Nationalliteratur" (Schiller-Verehrung) war Ausdruck dieser Tendenzen. Die Epoche war folgerichtig gekennzeichnet von einem Zerfall alter europäischer Kulturzusammenhänge.
Gleichwohl gab es auch im 19. Jahrhundert lebendige literarische Austauschbeziehungen, sowohl im Bereich der Hochliteratur als auch in jenem der Populärliteratur. Zunächst waren es sogar die Übersetzungen, die auf dem expansiven deutschen Buchmarkt dominierten. Dazu zählten zunächst vor allem Übertragungen der Romane Sir Walter Scotts (1771–1832) im Zeichen der "Scottomanie", dann auch der Werke von Charles Dickens (1812–1870) und William Makepeace Thackeray (1811–1863) oder die der französischen Romanciers Eugène Sue (1804–1857) und Alexandre Dumas (1802–1870). Auch die Ausleihstatistiken des aufblühenden Leihbibliothekswesens geben darüber klare Auskünfte.16 Denn bereits seit 1820, teils noch bevor die technische Buchherstellung durch vielfältige Erfindungen (Papiermaschinen, Schnellpresse, Setzmaschinen, Dampfbuchbinderei) in die Phase ihrer Industrialisierung eintrat, war es in Stuttgart, Leipzig, Wien, Pest und an anderen Orten zur Errichtung äußerst produktiver "Übersetzungsfabriken" gekommen, die ihre Bezeichnung durchaus zurecht trugen.17 Neben den Romanreihen erschienen auf dem kommerzialisierten Übersetzungsmarkt auch Anthologien und Serien (z. B. Das belletristische Ausland, 3.618 Bände, 1843–1865) in großer Menge.18 Begünstigt wurde der Aufschwung des Übersetzungswesens durch das Fehlen internationaler Urheberrechtsvereinbarungen. Ausländische Autoren und Verlage mussten für Übersetzungen weder um Erlaubnis gefragt noch mit Honoraren oder Lizenzgebühren abgefunden werden. Dies änderte sich erst nach Abschluss einiger zwischenstaatlicher Verträge seit den 1860er Jahren, vor allem aber mit der Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst19 von 1886. Mit diesen Maßnahmen gewann der internationale literarische Verkehr zunehmend an Rechtssicherheit, verlor allerdings auch beträchtlich an Volumen und wirtschaftlicher Bedeutung. Nach einem Höhepunkt zwischen 1845 und 1850 (48 bis 50 Prozent20) nahm der Anteil der Romanübersetzung an der Gesamtproduktion von Romanliteratur in Deutschland rasch ab.21
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rückte auf dem Buchmarkt ein anderer Bereich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit: die deutsche Wissenschaft. Sie errang besonders in den Naturwissenschaften, in Medizin und Biologie, aber auch im Ingenieurwesen "Weltgeltung".22 Deutsch war nun eine der Hauptsprachen der Wissenschaft, stand um die Jahrhundertwende sogar nahe davor, zu der Hauptsprache in der Forschung weltweit zu werden. Im Deutschen Reich selbst hatte der Ausbau der Hochschulen und staatlichen Forschungseinrichtungen und die damit verbundene Errichtung zahlreicher Institute, Seminare und Laboratorien, auch die dramatische Zunahme der Studierendenzahlen einen ungeheuren Bedarf an wissenschaftlicher Literatur erzeugt, an Monographien ebenso wie an Zeitschriften. Der gewaltige Aufschwung des Wissenschaftsverlags und des wissenschaftlichen Buchhandels wurde aber gleichermaßen von einer außerordentlich starken Auslandsnachfrage, aus den USA und Japan, aber auch aus vielen anderen Ländern getragen. Neben den Verlagen profitierten davon auch das Exportsortiment und das wissenschaftliche Antiquariat.23 In den gleichen Zeitraum fiel auch die Entstehung und Ausdehnung des deutschen Auslandsbuchhandels: Zahlreiche, von deutschen Buchhändlern geführte Sortimentsfirmen entstanden in allen Erdteilen, vorzugsweise in Ländern mit deutschen Einwanderern ("Auslandsdeutschtum"), und wurden zu Stützpunkten eines Distributionsnetzes, mit dem das deutsche Buch nicht nur nach London, Paris, Rom, Barcelona, St. Petersburg oder New York gelangte, sondern auch in Südafrika oder Südamerika Verbreitung fand.
Zäsuren: Der europäische Buchmarkt im Zeitalter der Weltkriege
Die lebhaften Auslandsbeziehungen hatten maßgeblichen Anteil daran, dass der deutsche Buchhandel im Jahr 1913 eine Entwicklungshöhe erreichte, die für viele Jahrzehnte, in mancher Hinsicht bis heute unübertroffen bleiben sollte. Der Erste Weltkrieg bedeutete für den Buchmarkt insgesamt und namentlich für das System des Export- und Auslandsbuchhandels einen tiefen Einschnitt. Er "untergrub die moralische Legitimation des Deutschen als internationaler Wissenschaftssprache und leitete, wie sich zeigen sollte, mit unumkehrbarer Wirkung ihren Bedeutungsverlust zunächst im naturwissenschaftlichen und medizinischen Publikationswesen ein".24 Die Einstellung der Postverbindungen in das feindliche Ausland wie auch die englische Handelsblockade beschränkten den buchhändlerischen Verkehr auf die angrenzenden verbündeten oder neutralen Länder. In Deutschland waren von den Militärbehörden zunächst partielle Ausfuhrverbote ausgesprochen worden, bis im April 1917 die Ausfuhrkontrolle aller Druckschriften angeordnet wurde.25 Der Auslandsbuchhandel erlitt gravierende Einbußen durch die Schließung von deutschen Firmen in den kriegsgegnerischen Ländern, der nicht selten die Enteignung und Vertreibung ihrer Inhaber folgten. Zahlreiche ausländische Niederlassungen deutscher Unternehmen mussten aufgegeben werden, weil die Führung deutschsprachiger Bücher unmöglich geworden war. Der Konfiskation deutschen Eigentums verfielen zusammen mit den Buchhandlungen auch deren Bücherlager, die als Kommissionsgut eigentlich noch im Eigentum der Lieferanten, der Verleger, standen. In den USA war nach der Versenkung des Passagierschiffes "Lusitania" durch ein deutsches U-Boot am 7. Mai 1915 eine antideutsche Hysterie ausgebrochen. Mancherorts wurden deutsche Bücher aus Bibliotheken entfernt oder sogar öffentlich verbrannt. Die deutsche Sprache war seither geradezu geächtet. Mit dem Kriegseintritt der USA am 6. April 1917 brach dieser wichtige Markt für reguläre Lieferungen endgültig weg: Die offiziellen Einfuhrrestriktionen reduzierten die Absatzmöglichkeiten für deutsche Bücher auf wissenschaftliche Werke und Zeitschriften, die von Behörden und Bibliotheken als kriegswichtig und unverzichtbar angesehen wurden.
Der Zusammenbruch des deutschen Buchexports bot den Siegermächten, vor allem Frankreich, die Gelegenheit, den eigenen kulturellen Einfluss zu vergrößern. Umso dringlicher erschienen Bemühungen, nach dem Krieg die zerstörten Vertriebswege des deutschen Buches im Ausland möglichst rasch wieder aufzubauen. Dies gelang jedoch nur partiell. Deutsche Wissenschaftsliteratur stellte zwar immer noch einen begehrten Artikel dar, und obwohl gerade in der Zeit der Inflation jeder Verkauf ins Ausland durch die dabei erzielten Valutagewinne zur Überlebensgarantie der Unternehmen wurde, die an ihre früheren internationalen Verbindungen wieder anknüpfen konnten, zu alter Blüte konnte dieser Bereich nicht mehr geführt werden. Doch wenn die Hyperinflation alles in allem noch gut bewältigt werden konnte (im Inland durch ein System von Grund- und Schlüsselzahlen),26 so zog die Weltwirtschaftskrise 1929 schwere Einbrüche nach sich. Der Kaufkraftschwund verursachte im Inland eine massive Marktschwäche,27 und auch aus dem Ausland hagelte es Stornierungen von Abonnements wissenschaftlicher Zeitschriften oder Fortsetzungsbestellungen.
Nach 1933 versuchte das nationalsozialistische Regime dem fortschreitenden Bedeutungsverlust des deutschen Buches im Ausland durch eine großzügige Exportstützung zu begegnen, entzog aber dem ausländischen Interesse an deutscher Kultur und Wissenschaft gleichzeitig durch eine Ideologisierungs- und Gleichschaltungspolitik den Boden. Als deren Erscheinungsformen kann die forcierte Blut-und Boden-Literatur ebenso gelten wie die Etablierung einer "Deutschen Mathematik". Die sogenannte "Entjudung" des Kultur- und Wissenschaftslebens sollte sich als ein schwerwiegender, irreversibler Eingriff erweisen, insofern die Vertreibung tausender Schriftsteller und Wissenschaftler, darunter der fähigsten, in eine Flucht der Intelligenz mündete, die auch Verlag und Buchhandel schwer in Mitleidenschaft zog. Umgekehrt bedeutete dies einen großen Zugewinn für die Zielländer der Emigranten, namentlich für die USA und Großbritannien. Auch zahlreiche Verleger und Buchhändler befanden sich unter den aus Deutschland Vertriebenen, und einige von ihnen waren bei der Wiederetablierung in ihren Aufnahmeländern höchst erfolgreich. Beispiele dafür gibt es sowohl im Literatur- und Publikumsverlag wie im wissenschaftlichen Verlagswesen.28 Mit der Tätigkeit der Verleger- und Buchhändleremigranten, nicht zuletzt solchen, die ihre Kenntnis sowohl europäischer wie überseeischer Märkte für eine Karriere als Literaturagent nutzten, entstanden neue Netzwerke, die nach 1945 eine bedeutsame Rolle in der Internationalisierung des Buchhandels und der Entstehung transnational agierender Unternehmen spielen sollten.
Zunächst aber war es der Zweite Weltkrieg, der noch tiefere Gräben durch Europa zog. War im nationalsozialistischen Deutschland die Lektüre ausländischer Autoren vor 1939 noch wenig eingeschränkt, so wurden diese Bücher nach Kriegsbeginn zur verbotenen "Feindstaatenliteratur". Es gehört zu den schwer fassbaren Phänomenen jener Zeit, dass der deutsche Buchmarkt trotz aller Verbote und Eingriffe bis in die ersten Kriegsjahre hinein eine exorbitante Konjunktur erlebte und dies nicht nur wegen umfangreicher Wehrmachtaufträge.29 Umso tiefer war der Absturz in der Phase des "totalen Kriegs", die mit Betriebsschließungen bis zum fast vollständigen Erliegen der Verlagsproduktion einherging.
Der Buchmarkt im Zeichen von europäischer Integration und Globalisierung
Im Rückblick wirkt es mehr als überraschend, dass auf den Trümmerfeldern des alten Europa und namentlich Deutschlands schon bald die Rekonstruktion von Buchmarktstrukturen gelang, auch in einem internationalen Rahmen. Die 1949 neu errichtete Frankfurter Buchmesse entwickelte sich aus bescheidenen Anfängen innerhalb weniger Jahre zu einem Anziehungspunkt auch für ausländische Verleger. Bereits 1953 wurden unter 969 Ausstellern mehr ausländische als deutsche registriert. 1973 standen 887 Ausstellern aus Deutschland 2.930 aus dem Ausland gegenüber.30 Bemerkenswert erscheint, dass in Deutschland so kurz nach Nationalsozialismus und Weltkrieg eine von der Völkergemeinschaft akzeptierte Plattform des Informationsaustausches über die Welt der Bücher hat entstehen können. Der Organisationserfolg war dauerhaft: Die Frankfurter Buchmesse behauptet sich bis heute als die größte Bücherschau der Welt und – wichtiger noch – als Zentralplatz des internationalen Buchlizenzhandels. Die Literarischen Agenturen entwickeln auch außerhalb des Messegeschehens, in Zürich und New York und weltweit noch vielen anderen Standorten, eine kaum zu überschätzende Funktion in der Vermittlung zwischen den literarischen Kulturen, nicht nur im Bestseller-Segment. Ihrem "Networking" zwischen Autoren und Verlagen ist es vor allem zuzuschreiben, dass viele Bucherfolge eine internationale Dimension gewinnen. Bedeutsam ist hier in erster Linie das transatlantische Geschäft.31
Ein im engeren Sinn europäischer Buchmarkt hat sich aus den Aktivitäten dieser Vermittlungsinstanzen bisher nicht entwickelt. Natürlich wirken Medienkonzerne wie die Bertelsmann AG, die Verlage und Buchgemeinschaften in vielen verschiedenen Ländern unter ihr unternehmerisches Dach gebracht hat, als Faktoren einer fortschreitenden transnationalen Vernetzung der Buchwirtschaft.32 Aber hier drängt die Entwicklung eher in Richtung einer Globalisierung als einer Europäisierung. Wirtschaftlich enger verflochten sind die nationalen Buchmärkte Europas nur dort, wo ein gemeinsamer Sprachraum vorliegt (Deutschland / Österreich / Schweiz; Frankreich / Belgien; Großbritannien / Irland). In der Integration der nationalen Buchmärkte hat auch die Europäische Union (EU), deren Politik von Anfang an auf eine Vereinheitlichung des Wirtschaftsraums gerichtet war, kaum Fortschritte erzielt – wenn diese denn überhaupt wünschenswert erscheinen.33 Zwar gerieten im Zuge dieser Politik die nationalen Buchwirtschaften immer wieder unter den Druck von Harmonisierungsbestrebungen, die marktpolitischen Rahmenbedingungen gestalten sich aber bis heute höchst unterschiedlich. Deutlich wird dies etwa im Bereich der Umsatzsteuer: In den meisten Ländern Europas genießen Bücher, gemeinsam mit manchen anderen zur "Grundversorgung" gezählten Produkten und Dienstleistungen, einen Sonderstatus und werden nur mit einem reduzierten Mehrwertsteuersatz belastet. Fünf Länder, darunter Großbritannien, haben sich sogar für eine "zero rate" entschieden. Das Ideal eines einheitlichen Wirtschaftsraums ist durch diese Schwankungsbreiten der Steuersätze aber kaum gefährdet, denn schon aufgrund der Vielzahl der Sprachräume kann der zwischenstaatliche Handel von Büchern innerhalb der Union zwangsläufig nur begrenzte ökonomische Bedeutung erlangen.34
Ein ähnlich uneinheitliches Bild ergibt sich im Blick auf die Preisbindung für Bücher, die von ihren wirtschaftsliberal eingestellten Gegnern als unerlaubter Eingriff in den Markt, von ihren Verfechtern als kulturpolitisch unverzichtbar angesehen wird: Von den 27 Mitgliedsländern der EU haben 15 keine, sieben eine gesetzliche und sechs eine privatrechtlich abgestützte Preisbindung. Dazu kommt, dass die einzelnen Preisbindungskonzepte, ob nun gesetzlich oder privatrechtlich, z. T. beträchtlich in ihren Bestimmungen differieren.35 Die Haltung der Europäischen Kommission zu dieser Problematik hat sich gewandelt: Lange Zeit wurde im Rahmen einer als konsumentenfreundlich verstandenen Antikartellpolitik jede Form von Buchpreisbindung in Frage gestellt,36 weil diese mit dem europäischen Wettbewerbsrecht nicht vereinbar sei. Nach der Jahrtausendwende setzten sich jedoch Auffassungen durch, wonach, unter kulturpolitischen Zielsetzungen, jedem Mitgliedsstaat die Beibehaltung oder Einrichtung einer Buchpreisbindung freigestellt sein sollte.37 Auf europarechtliche Eingriffe in dieser Frage wird seitdem verzichtet. Dies geschieht unter Berufung auf Artikel 151 des Europäischen Gemeinschaftsvertrags (Resolution vom 11. September 2001),38 demzufolge Kulturpolitik in die Verantwortung und Kompetenz der einzelnen Länder fällt. Unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten verbietet die Europäische Kommission nach wie vor Preisbindungsbestimmungen, die grenzüberschreitende Wirkungen haben. Sie betrachtet dieses Verbot jedoch als Beitrag zur Absicherung der nationalen Preisbindungssysteme.
Nach wie vor einen wichtigen Faktor stellt die EU als Kontrollinstanz bei großen Verlagsfusionen dar. Hier werden kartellrechtliche Gesichtspunkte konsequent verfolgt. Eingriffe der Kommission erfolgten etwa 2004 in Frankreich, wo bei ohnehin weit fortgeschrittenem Konzentrationsgrad im Verlagswesen weitere Zusammenschlüsse – der Erwerb von Vivendi Universal Publishing/Editis durch die Lagardère-Gruppe/Hachette – nur unter einschneidenden Auflagen genehmigt worden sind. Ansätze zu einer von der Europäischen Union getragenen gemeinschaftlichen "Politik für das Buch" gibt es auch im Bereich des Urheberrechts (EU-Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft) oder der Digitalisierung von Bibliotheks-, Archiv- und Museumsbeständen (Europeana).39 Die digitalen Netzwerkmedien machen nicht vor Landesgrenzen Halt. Das Internet hat in allen Mitgliedsländern und für alle Urheber identische Problemlagen und den gleichen Handlungsbedarf hervorgerufen. In anderen Bereichen ist eine solche supranationale Identität der Interessen nur bedingt gegeben.
Wenn die Europäische Union Kulturpolitik im Wesentlichen als einzelstaatliche Aufgabe versteht, so lassen sich doch Aufgabengebiete einer europäischen Buchpolitik abstecken, die nicht gegen das Subsidiaritätsprinzip verstoßen. Jedenfalls postuliert dies ein 2008 erstelltes Memorandum Europe and the book der Federation of European Publishers (FEP/FEE),40 das insgesamt 20 Vorschläge enthält, die der Förderung des europäischen Buches dienen sollen. Immerhin handle es sich angesichts eines Volumens von 40 Milliarden Euro um den bedeutendsten Bereich der Kulturwirtschaft. Bücher seien "obviously the fundamental vehicle of European culture, knowledge and languages".41 Eines der Maßnahmenpakete richtet sich auf die verstärkte Unterstützung des Übersetzungswesens innerhalb der EU, darunter eine Förderung der Aus- und Weiterbildung von Übersetzern und Verlegern im Fremdsprachenbereich. Damit soll die Verständigung innerhalb der EU gestärkt und die Entdeckung des gemeinsamen Kulturerbes befördert werden.
Die Neigung zur Lektüre übersetzter Literatur ist in den einzelnen europäischen Ländern ganz unterschiedlich ausgeprägt. Einer von einem schwedischen Branchenmagazin 2004/2005 durchgeführten Untersuchung von Bestsellerlisten zufolge ist der Anteil einheimischer Autoren unter den Top Ten in Österreich (19 Prozent) und in Deutschland (24 Prozent) am niedrigsten. Am höchsten dagegen ist er in Finnland (80 Prozent). Auch in Schweden (61 Prozent), Frankreich und Spanien (jeweils 60 Prozent) wird einheimischen Autoren der Vorzug gegeben. In Großbritannien werden zu 61 Prozent britische und zu 39 Prozent US-amerikanische Autoren gelesen. In Norwegen und den Niederlanden behaupten die inländischen Autoren 44 bzw. 41 Prozent (bei ca. 35 Prozent englischen und amerikanischen Autoren).42 Die Daten beziehen sich nur auf die meistgelesenen, populärsten Formen der Literatur, sind also hinsichtlich der gesamten Literaturrezeption von begrenzter Aussagekraft. Dennoch: Eine Offenheit für das gesamte Spektrum der europäischen Literatur scheint in den wenigsten Ländern gegeben zu sein.
Selbst in Deutschland, wo vergleichsweise viel ausländische Literatur gelesen wird, verweist die Übersetzungsstatistik zur Produktion deutscher Verlage aus dem Jahr 2008 auf eine sehr einseitige Schwerpunktbildung: Bezogen auf alle Erstauflagen, die in Deutschland erschienen sind, beträgt die Übersetzungsquote 8,8 Prozent. Das entspricht 7.340 Titeln, davon 3.623 Belletristik. Davon stammen wiederum 66,9 Prozent aller Übersetzungen aus dem Englischen. Mit 11,5 Prozent und 2,9 Prozent folgen die Herkunftssprachen Französisch und Italienisch auf den Plätzen zwei und drei.43 Da sich der Anteil aus dem Englischen übersetzter Bücher allein seit 2004 von 56,8 Prozent um 10 Prozent gesteigert hat, spiegelt der Buchmarkt die fortschreitende Vorherrschaft des Englischen in überdeutlicher Weise. Auch wenn es Fälle gibt, in denen Werke aus den "kleineren Literaturen" den Umweg über das Englische nehmen, bevor sie für andere nationale Buchmärkte entdeckt werden: Die Tendenz geht in Richtung einer Marginalisierung dieser aus eng begrenzten Sprachräumen stammenden Literaturen. Dabei ist, allen bestehenden nationalen und bilateralen Förderungsprogrammen zum Trotz, die Übersetzungsquote in vielen anderen Ländern noch weit niedriger. Immerhin aber konnten von deutschen Verlagen 2008 innerhalb Europas 5.548 Lizenzen ins Ausland vergeben werden, die meisten davon nach Polen (780), in die Tschechische Republik (558), nach Italien (458) und Russland (452). Zum Vergleich: Britische Verlage haben aus Deutschland nur 105 Lizenzen erworben, weniger als Bulgarien (127) und kaum mehr als Litauen (100).44
Es ist sicherlich ein anspruchsvolles Ziel, die kulturelle Vielfalt in Europa zu bewahren und gleichzeitig sprachlich bedingte Barrieren abzubauen. Denn die Idee einer stärkeren Vernetzung der nationalen Büchermärkte kann nur darauf gerichtet sein, das Verständnis für benachbarte Kulturen zu vertiefen, nicht aber auf eine Uniformierung des Literaturangebots. Für diese differenzierte Form des Kulturtransfers, mit der gleichzeitig die Stellung der sprachlichen Minderheiten gestärkt wird, bietet das Medium Buch auch im digitalen Zeitalter die besten Voraussetzungen.