Lesen Sie auch den Beitrag "Les catholiques et l’Europe au xixe siècle" in der EHNE.
Die Entstehung des Begriffs Leyenda negra
Nach dem Diccionario de la Real Academia Española ist die Leyenda negra, die Schwarze Legende, eine seit dem 16. Jahrhundert verbreitete und gegen die Spanier gerichtete Einstellung. Schon diese kurze und wenig aussagekräftige Definition zeigt deutlich, dass die Leyenda negra prinzipiell negativ konnotiert ist. Doch erweckt sie weiter auch den Eindruck, schon seit dem Beginn der Frühen Neuzeit sei außerhalb von "Spanien" systematisch schlecht über die "Spanier" gesprochen worden. In diesem Zusammenhang mutet es fast kurios an, dass der Begriff selbst erst ein Produkt des 20. Jahrhunderts ist. 1913 erhielt ein Funktionär des spanischen Außenministeriums, Julián Juderías y Loyot (1877–1918), von der Wochenschrift La Ilustración Española y Americana einen Preis für die beste Arbeit, die aufzeigen sollte, wie es um das Image Spaniens im Ausland bestellt sei. Der prämierte Text erschien zuerst 1913 und 1914 in fünf Teilen in der erwähnten Zeitschrift und 1914 auch als Monographie unter dem Titel La leyenda negra. Estudios acerca del concepto de España en el extranjero1 (Die Schwarze Legende. Studien über das Bild Spaniens im Ausland). 1917 brachte Juderías eine wesentlich überarbeitete Neuauflage heraus, die öfter nachgedruckt wurde, das letzte Mal 2003, und schuf mit seinem Werk einen Terminus, der fortan zum feststehenden Repertoire nicht nur der Historiographie, sondern auch der Publizistik und anderer Geisteswissenschaften werden sollte.
Juderías verfasste sein Werk zu einem Zeitpunkt, als Spanien in einer tiefen Krise steckte, und zwar nicht nur wegen des Verlustes der letzten Reste seines globalen Imperiums in den Jahren 1898 und 1899, sondern auch wegen der zahlreichen sozialen Auseinandersetzungen im Inneren. 1909 hatten diese Konfrontationen einen vorläufigen Höhepunkt in der so genannten Semana Trágica, der "Tragischen Woche" im August, während der in Barcelona und Katalonien bei Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und der spanischen Armee zahlreiche Menschen ums Leben kamen. Zu einem Zeitpunkt, als die Schuld am Niedergang der spanischen Weltmacht einzig äußeren Feinden gegeben wurde und die Nation an einem kollektiven Minderwertigkeitsgefühl zu kranken schien, war es nicht unpraktisch, eine Erklärung für diesen Zustand in früheren Jahrhunderten zu suchen und nachzuweisen, dass immer schon äußere und auch innere Feinde alles daran gesetzt hatten, die glanzvolle spanische Vergangenheit in den Schmutz zu ziehen und die positiven Errungenschaften in der spanischen Geschichte zu minimieren oder gar ins Negative zu verkehren. Juderías kam in seinen Ausführungen zu dem Schluss, dass es schon seit dem 16. Jahrhundert eine Hispanophobie gegeben habe, in deren Rahmen die Spanier als intolerant, grausam und fanatisch beschrieben und ihre angeblich negativen Verhaltensmuster aus propagandistischen Gründen dämonisiert worden seien. In den Worten von Juderías klingt das so:
Unter Leyenda negra verstehen wir das Ambiente, geschaffen durch die fantastischen Erzählungen über unser Vaterland, die das Licht der Öffentlichkeit in fast allen Ländern gesehen haben; die grotesken Beschreibungen, die immer wieder über den Charakter der Spanier als Individuen und als Kollektiv gemacht wurden; die Leugnung oder mindestens systematische Ignorierung von allem, was für uns vorteil- und ehrenhaft ist in den verschiedenen Manifestationen unserer Kultur und Kunst; die Anschuldigungen, die zu jeder Zeit gegen Spanien vorgebracht wurden und die sich zu diesem Zweck auf übertrieben dargestellte Ereignisse stützten, schlecht interpretiert oder zur Gänze falsch, und schließlich die Behauptung, die in im ersten Moment respektabel und wahrhaft scheinenden Büchern enthalten ist und vielfach reproduziert, kommentiert und in der ausländischen Presse aufgebauscht wird, dass unser Vaterland vom Standpunkt der Toleranz, der Kultur und des politischen Fortschritts aus betrachtet eine bedauernswerte Ausnahme innerhalb der Gruppe der europäischen Nationen sei. – Mit einem Wort: Wir verstehen unter Leyenda negra die Legende von einem inquisitorischen Spanien, ignorant, fanatisch, unfähig, unter den kultivierten Völkern heute wie auch früher zu bestehen, immer bereit zu gewalttätigen Repressionen; Feind des Fortschritts und der Neuerungen, oder, mit anderen Worten, die Legende, deren Verbreitung im 16. Jahrhundert wegen der Reformation begonnen hat, wird seither immer gegen uns verwendet, vor allem in kritischen Momenten unseres staatlichen Lebens.2
Es ist ganz deutlich, dass es die internationalen Proteste 1909 gegen die Hinrichtung des in Europa anerkannten Pädagogen Francisco Ferrer y Guardia (1859–1909)[]waren,3 die bei Juderías den Ausschlag für die Verfassung seines Werkes gaben. Dafür wurde er auch verschiedentlich kritisiert. So wurde ihm nachgesagt, er sei ein Vertreter der konservativen Reaktion. Der Vorwurf ist allerdings zurückzuweisen: Juderías, Sohn einer französischen Mutter, sprachgewandt – er beherrschte 16 Sprachen, darunter auch Deutsch und Russisch –, war ein anerkannter Sozialwissenschafter, der wesentlich an den Reformen der spanischen Sozialgesetzgebung zu Beginn des 20. Jahrhunderts beteiligt war. Und er kannte die wissenschaftliche und sonstige Literatur über Spanien, in der er die sich immer wiederholenden Vorurteile festmachte, die ihn bei der Schaffung des Begriffs "Schwarze Legende" inspirierten.4
Juderías war damals außerdem keineswegs der Einzige, der sich aufmachte, Spanien gegen ungerechtfertigte Kritik aus dem Ausland zu verteidigen. Der berühmte Schriftsteller und Philosoph Miguel de Unamuno y Jugo (1864–1936) schrieb schon 1909 in einem Kommentar zur Hinrichtung von Ferrer in der argentinischen Zeitung La Nación:
Diese Feindschaft gegen Spanien beginnt im 16. Jahrhundert. Seit damals verstärkt sie sich auf die eine oder andere Art. Unsere Geschichte wurde systematisch gefälscht, vor allem durch die Protestanten und Juden, aber nicht nur durch sie.5
Das Zitat von Unamuno zeigt deutlich: Das Unbehagen über die angebliche Benachteiligung Spaniens durch seine Feinde war am Beginn des 20. Jahrhunderts weit verbreitet. Und es werden zwei Verursacher genannt, die im Zusammenhang mit der Leyenda negra immer wieder vorkommen: die "Juden" und die "Protestanten".
Juderías beschränkte sich auf die europäischen Wurzeln seiner Leyenda negra. Es sollte knapp dreißig weitere Jahre dauern, bis der Geltungsbereich des Begriffs noch einmal ausgeweitet wurde, dieses Mal auf Amerika. Es war der Argentinier Rómulo D. Carbia (1885–1944), der die Schilderungen der Gräueltaten der Spanier in der Neuen Welt ebenfalls als Bestandteil der antispanischen Schmähung abtat.6 Seit diesen beiden "Klassikern" in der Beschreibung des Phänomens der Leyenda negra in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es noch viele weitere Versuche, eine kurze und prägnante Erklärung zu finden. Pars pro toto sei jene des Amerikaners Philip Wayne Powell (1913–1987) angeführt:
Die grundlegende Prämisse der Leyenda negra besteht darin, dass sich die Spanier in ihrer Geschichte unvergleichlich grausam, intolerant, tyrannisch, obskurantisch, faul, fanatisch gierig und heimtückisch verhalten haben, dass sie sich also durch diese Eigenschaften so sehr von anderen Völkern unterscheiden, dass die Spanier und die spanische Geschichte in Begriffen gesehen und verstanden werden müssen, die normalerweise nicht zur Beschreibung und Interpretation anderer Völker verwendet werden.7
Nach Juderías und Carbia suchten verschiedene Autoren nach weiteren Wurzeln der Leyenda negra. Der Däne Sverker Arnoldsson (1908–1959) sah ihren Ursprung bereits in der Epoche der aragonesischen Expansion im Mittelmeergebiet ab dem 14. Jahrhundert und somit in antikatalanischen und antiaragonesischen Vorurteilen in Italien, die sich später auf alle Bewohner der iberischen Königreiche übertragen hätten.8 Daneben verortete er auch viele der antispanischen Vorurteile im Heiligen Römischen Reich, so beispielsweise bei Martin Luther (1483–1546) und der protestantischen Kritik am Schmalkaldischen Krieg.9 Der amerikanische Historiker William S. Maltby (geb. 1940) machte schließlich in einer viel beachteten Studie darauf aufmerksam, dass die englischen Wurzeln der Leyenda negra nicht übersehen werden dürften. 1971, als das Buch erstmals erschien, bezog er die Leyenda negra auch auf die Gegenwart. Sie beeinflusse noch immer die komplizierten Beziehungen der Vereinigten Staaten zu ihren spanischsprachigen Nachbarn und die britische Politik gegenüber Spanien. Die Leyenda negra sei daher ein Faktor in den internationalen Beziehungen. Außerdem verglich er die Kritik an den Vereinigten Staaten in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts mit jener an der spanischen Monarchie im 16. Jahrhundert.10
In den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts waren es dann vor allem Ricardo García Cárcel (geb. 1948)11 und Alfredo Alvar Ezquerra (geb. 1960),12 die die Existenz der Leyenda negra hinterfragten und sie als nichts anderes als die spanische Rezeption des Bildes der Spanier im Ausland interpretierten. Prägnant formulierte García Cárcel in seiner Einleitung:
Dieses Buch … will die Leyenda negra nicht begraben, unter anderem, weil es sich um einen imaginierten Kadaver handeln wü13
Durch diese Aussage wird deutlich, dass ein Paradigmenwechsel eingeleitet werden sollte. Denn natürlich gab und gibt es in der Geschichte aller Gemeinschaften positive und negative Aspekte, die ex post leichter zu interpretieren sind als durch die jeweils betroffenen Zeitgenossen – man denke nur an die Vehemenz, mit der 1986/1987 der deutsche Historikerstreit ausgetragen wurde. García Cárcel erinnerte mit der Erwähnung der Farben Rosa und Gelb nur daran, dass es auch andere Legenden gab und gibt, rosafarbene und goldene. Deren Inhalt lässt sich im Zusammenhang mit Amerika darauf reduzieren, dass es verdienstvoll gewesen sei, den Menschen der Neuen Welt das Wort eines christlichen Gottes zu verkünden und die europäische Zivilisation zu vermitteln. Die spanische Inquisition verbrannte nicht wirklich viele Menschen, sagt eine andere dieser Legenden, wenn man bedenke, dass allein in der Pariser Bartholomäusnacht mehr als 3.000 Personen getötet wurden und dass die "Hexen", die auf den Scheiterhaufen im Heiligen Römischen Reich noch im 18. Jahrhundert starben, viel zahlreicher waren als die Opfer der spanischen Inquisition. Diese Liste ließe sich lange fortsetzen.
Bethany Aram war es schließlich, die sich 2008 neuerlich kritisch mit den Legenden auseinandersetzte, dieses Mal wieder im Zusammenhang mit Amerika. Ihr Buchtitel ist zu übersetzen mit "Schwarze Legende und goldene Legenden in der Eroberung von Amerika". Pedrarias Dávila (ca. 1468–1531), der erste Gouverneur Panamás und Nicaraguas, hatte den Ruf eines der brutalsten und grausamsten der Conquistadoren, während Vasco Núñez de Balboa (ca. 1475–1519), der Entdecker der "Südsee", zum Märtyrer stilisiert wurde, zum Opfer des blutrünstigen Gouverneurs, der ihn hinrichten ließ. Pedrarias, der Inbegriff eines Vertreters und Akteurs der Leyenda negra, gegen Balboa, das unschuldige Opfer, einen der Helden der Leyenda dorada, der goldenen Legende. Aram gelingt es in ihrem Buch sehr subtil und fundiert, mit Mythen, positiven wie negativen, aufzuräumen, deren Entstehung auch sie schon im 16. Jahrhundert verortet.14
Es war nach all diesen kritischen Auseinandersetzungen über die und mit der Leyenda negra fast nicht mehr zu erwarten, dass noch etwas sinnvoll Neues geschrieben werden könnte. Doch im November 2009 veröffentlichte der Altmeister der französischen Hispanistik, Joseph Pérez (geb. 1931), eine Studie, in der er sehr ausgewogen und vorbildlich alle Elemente der Leyenda negra seit ihrer ersten Entstehung darstellt.15 Das Buch wurde sofort zu einem großen Erfolg, im März 2010 erschien bereits die dritte Auflage. Selbst García Cárcel lobte in einer Rezension das Werk seines Kollegen,16 der am Ende seines Vorworts die Frage stellt: Gab es in der Vergangenheit eine Verschwörung gegen Spanien?17
Zur Genese antispanischer Vorurteile: 13.–16. Jahrhundert
Wie schon Arnoldsson sieht auch Pérez den Beginn der Leyenda negra Ende des 13. und im beginnenden 14. Jahrhundert.18 Nach der sogenannten Sizilianischen Vesper, dem Aufstand gegen die französischen Herren, der im Jahr 1282 begann, wurden die Anjou von der Insel vertrieben, auf der sich mit päpstlicher Duldung die Aragonesen unter Peter III. (1240–1285) festsetzten. Zwischen 1322 und 1324 eroberten die Aragonesen auch das Königreich Sardinien. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts kam zudem das Königreich Neapel unter die Herrschaft Ferdinands II. von Aragón (1452–1516), des Ehemanns der kastilischen Königin Isabella I. (1451–1504). Die Ausdehnung der aragonesischen Macht im 15. und 16. Jahrhundert fiel mit der Herrschaft zweier Päpste zusammen, die Untertanen der aragonesischen Könige waren, nämlich Kalixt III. (1378–1458, Papst seit 1455) und Alexander VI. (1431–1503, Papst seit 1492). Beide stammten aus Valencia, einem der Königreiche der Krone von Aragón, und gelten als Mitglieder der Familie Borja (Borgia) noch heute als der Inbegriff korrupter und dem Nepotismus frönender Renaissancefürsten auf dem Stuhl Petri in Rom. Und sie waren "Ausländer", Untertanen des aragonesischen Königs, der ohnedies seine Macht in Italien beständig ausweitete, auf Kosten der dortigen herrschenden Familien und auf Kosten der französischen Königsdynastie. Es wurde also kritisch über die Aragonesen geredet, die damals das westliche Mittelmeergebiet kontrollierten.
Der zunehmend schlechter werdende Ruf der Aragonesen, unter denen viele Katalanisch sprachen, übertrug sich unter dem Enkel von Ferdinand II., Karl I. (1500–1558), der als Karl V. auch noch Kaiser des Heiligen Römischen Reiches werden sollte, schließlich auf die Kastilier, die dieser seit 1516 in Vertretung seiner angeblich geistesgestörten Mutter Johanna (1479–1555) ebenfalls regierte. Das Bild von Katalanen, Aragonesen und Kastiliern floss in Italien langsam zusammen zu einem Bild von den "Spaniern", die ihren Einfluss auf der Apenninenhalbinsel zunehmend vergrößerten. Es genügen hier einige Rahmendaten: 1525 siegten die "Spanier" in der Schlacht von Pavia über die Truppen des Königs von Frankreich, 1527 kam es zum Sacco di Roma. An der Plünderung Roms waren auch viele Landsknechte aus dem Heiligen Römischen Reich beteiligt, doch wahrgenommen wurden sie als die Soldaten des "spanischen" Kaisers. Falls doch erkannt wurde, dass sie von nördlich der Alpen kamen, galten sie als Lutheraner, somit als "Ketzer".
Das Bild des Ketzers passte aber auch ganz gut zu den "Spaniern", die lange unter islamischer Herrschaft gelebt hatten, und deren Glaubenstreue nicht so sicher war. Schließlich waren auch viele der Juden, die Ferdinand II. von Aragón und Isabella I. von Kastilien 1492 aus den spanischen Reichen vertrieben hatten, nach Italien gekommen. Dass diese Menschen nicht gut über ihr Herkunftsland sprachen, liegt auf der Hand. Schritt für Schritt verschlechterte sich also in Italien das Bild Spaniens, auch wenn Negativa, die den Spaniern zugeschrieben wurden, möglicherweise auf Untertanen des Heiligen Römischen Reichs zurückzuführen waren. Doch gab es nicht auch in Spanien viele Ketzer, Kryptojuden und Anhänger des Propheten Mohammed (ca. 570–632), die dort nach wie vor ihr Unwesen trieben, fragten sich italienische Reisende schon im 15. Jahrhundert, wenn sie die Iberische Halbinsel besuchten? Viele Spanier hatten seltsame Bräuche, die eindeutig aus dem Orient kamen, aßen seltsame Speisen, sangen fremdartige Lieder und tanzten fremdartige Tänze. Waren es nicht gerade die Spanier, die außerdem die Heilige Dreifaltigkeit anzweifelten? In diesem Zusammenhang wurde in Italien vor allem Miguel Servet (1511–1553) zitiert, der 1531 in einer Publikation die Existenz der Dreifaltigkeit bestritten hatte. Servet wurde wegen seiner Lehren zuerst vergeblich von der spanischen Inquisition verfolgt, landete im Kerker der französisch-päpstlichen Inquisition in Lyon, konnte entkommen, nur um dann 1553 von einem geistlichen, calvinistischen Gericht in Genf zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt zu werden.19 War Servet, fragten sich viele Zeitgenossen, solch ein maximus haereticus, weil er Aragonese war? Waren die Aragonesen, und damit wohl alle "Spanier", geborene Häretiker, die noch von Glück reden konnten, dass Ferdinand II. von Aragón und Isabella I. von Kastilien die Spanische Inquisition begründet hatten? Dass den Spaniern gleichzeitig aber auch die Existenz dieser so gefürchteten Spanischen Inquisition vorgeworfen wurde, ist einer der Widersprüche, die in der Kritik an Spanien sehr häufig waren.
Dazu kam, dass die Spanier ihre Macht in Italien auch im 16. Jahrhundert beständig ausweiteten. 1527 löste die Republik Genua ihr Bündnis mit Frankreich und stellte sich auf die Seite Karls V. Fortan hatte dieser dank der genuesischen Galeeren die eindeutige politische Vorherrschaft im westlichen Mittelmeergebiet. Und auch zu Lande weitete Karl V. seine Macht aus, fiel doch das Herzogtum Mailand nach dem Aussterben der Sforza 1535 an den Kaiser. Einige der Elemente der antispanischen Kritik sind somit in Italien zu suchen, das bis ins 18. Jahrhundert weitgehend von den Spaniern dominiert wurde.
Kommen wir zurück zur Herrschaftszeit Karls V.Dieser regierte ab 1516 nicht nur die burgundischen Länder, die von seiner Großmutter väterlicherseits auf ihn gekommen waren, sondern auch die Territorien, die er von seinen Großeltern mütterlicherseits übernommen hatte, also die aragonesischen Königreiche auf dem iberischen Festland, auf den Mittelmeerinseln und in Süditalien sowie als wichtigsten Teil das Königreich Kastilien. Zu diesem gehörten auch die amerikanischen Territorien, in denen die Kastilier gerade in jenen Jahren ihr Einflussgebiet in berauschender Geschwindigkeit ausbauten – man denke nur an die Eroberung von Mexico in den 1520er und von Peru in den 1530er Jahren. Nach der Entdeckung großer Silbervorkommen in Potosí in Peru, später auch in Mexico, schien der kastilisch-aragonesische König, der in Europa zunehmend als "spanischer" König wahrgenommen wurde, immer mächtiger zu werden. In der Zeit Karls V. mag das noch nicht so zum Tragen gekommen sein, obwohl sich gerade nach dem Schmalkaldischen Krieg im Heiligen Römischen Reich immer mehr Kritik gegen das "spanische Regiment" erhob, vor allem, als Karl V. auf dem Augsburger Reichstag von 1550/1551 versuchte, seinen Sohn Philipp II. (1527–1598) als Nachfolger auf dem Kaiserthron zu installieren. Das Projekt scheiterte zwar, aber schon das kaiserliche Ansinnen provozierte massive Kritik, wie ein damals populäres Lied zeigt, in dem es heißt: "Kein Walch soll uns regieren, / Dazu kein Spaniol, / Sie tun uns nur verführen, / Sein aller Untreu voll ...."20 Kaiserliche Politik wurde vor allem von den Anhängern Luthers im Heiligen Römischen Reich zunehmend als spanische und katholische Politik angesehen, weshalb die Reichsfürsten die so genannte "spanische Sukzession" im Reich ablehnten.
Philipp II. übernahm als Nachfolger seines Vaters allerdings ein Erbe, das Territorien auf dem halben Globus umfasste. Er regierte nicht nur die iberischen Königreiche samt großer Teile Italiens und aus dem burgundischen Erbe die Niederlande, sondern auch die Territorien der Neuen Welt sowie Länder in den fernen Gegenden des Pazifik, die noch heute seinen Namen tragen. 1581 erkannten die portugiesischen Stände in Tomar Philipp II., der eine portugiesische Prinzessin geheiratet hatte, als ihren König an. Und das bedeutete nicht nur die Regierung in Portugal, sondern auch in Brasilien, in vielen Küstenregionen Afrikas und Indiens sowie auf zahlreichen Inseln im Indonesischen Archipel bis im fernen Macao in China. Philipp II. war damit tatsächlich zum ersten Weltherrscher geworden, dessen Wort in wenigen Weltgegenden ignoriert werden konnte, auch nicht von seinen Widersachern und politischen Gegnern. Diese Machtfülle trug aller Orten dazu bei, dass sich Kritik am König vermischte mit Kritik an Spanien und an den Spaniern.
Dazu kam das tragische persönliche Schicksal des Königs. 1568 starb sein Sohn Don Carlos (1545–1568)[] unter nie ganz geklärten Umständen, danach auch seine dritte Ehefrau Elisabeth von Valois (1545–1568). Der König heiratete 1570 die Braut seines Sohnes, Anna von Österreich (1549–1580), mit der er einen Thronfolger zeugen sollte, nämlich Philipp III. (1578–1621). Für die Niederländer, die ab den 1560er Jahren gegen ihren Herrscher wegen dessen Religions- und Wirtschaftspolitik rebellierten, waren diese Ereignisse propagandistisch perfekt zu verwerten. Der König war nicht nur der Mörder seines Sohnes Carlos, sollte später Wilhelm von Oranien (1533–1584) behaupten, sondern auch der Verführer von dessen Braut. Die Spanier wurden damit in reformierten Kreisen Europas zu Vertretern der Unzucht und Unmoral, die sie durch die Inquisition und deren Grausamkeiten zu verbergen suchten. Und die Inquisition wurde durch den Herrscher selbst unterstützt, der beispielsweise 1559 schaurigen Zeremonien in Valladolid beigewohnt hatte,21 bei denen Menschen wegen ihres protestantischen Bekenntnisses lebendig verbrannt worden waren. Dass in den Niederlanden auch ohne spanische Inquisition "Ketzer", vor allem Täufer, verbrannt worden waren, und das vor allem unter Karl V., musste in einem Freiheitskrieg, der auch eine Propagandaschlacht war, unterbelichtet bleiben. In den Niederlanden entstand jedenfalls ein beträchtlicher Teil der antispanischen Propaganda, hervorgerufen in nicht geringem Maße durch die harte Politik des Statthalters Fernando Álvarez de Toledo y Pimentel, dem 3. Herzog von Alba (1507–1582), der politische Gegner gnadenlos opferte. Die Hinrichtungen von Graf Lamoral von Egmont (1522–1568) und Philipp von Montmorency, Graf von Horn (1526–1568), waren hier nur die Spitze des Eisbergs. Der Ruf der Spanier in den Niederlanden war damit ruiniert, erst recht, als die unbezahlten königlichen Soldaten – und das waren nicht nur Spanier – 1576 die Stadt Antwerpen plünderten und brandschatzten. Es wurden an die tausend Häuser zerstört, achttausend Menschen fanden den Tod. Unter dem Schlagwort der spaanse furie, der spanischen Furie, wurde die Plünderung der wichtigen Handelsmetropole zu einem festen Bestandteil antispanischer Propaganda, in der alle Gräueltaten Philipps II. und seiner Handlanger zusammengefasst wurden. Dass nicht alle Niederländer oder flamencos, wie sie die Spanier nannten, gegen den König opponierten, zeigte sich spätestens, als sich die südlichen Provinzen mit dem Monarchen versöhnten und wieder unter seine Herrschaft zurückkehrten.22 Ein propagandistisch verwertbarer Mythos war dennoch geschaffen, und dieser richtete sich gegen alle Spanier, wo immer sie lebten.
Auf ähnliche Art und Weise entstand ein anti-spanischer Mythos in England. Durch die Heiratspolitik von Ferdinand II. von Aragón und Isabella I. von Kastilien, die ihre Tochter Katharina (1485–1536) Heinrich VIII. (1491–1547) zur Frau gegeben hatten, waren England und Spanien eng verbunden worden. Damit sollte ein Bündnis gegen die französische Monarchie bestärkt werden, die nicht nur die Aragonesen in Italien und an der Pyrenäengrenze bedrohte, sondern auch die Engländer in ihrem letzten kontinentalen Stützpunkt Calais. Dass sich Heinrich VIII. von Katharina, mit der er keinen Sohn, sondern nur eine Tochter, Maria (1516–1558), hatte, scheiden lassen wollte und sich darum mit Rom überwarf, war wirklich kein Problem der Spanier. Schwerer wog es da schon, dass Karl V. seine Tante Katharina unterstützte, ebenso wie deren Tochter Maria, die von ihrem Vater von der Erbfolge ausgeschlossen worden war. Als es Maria nach dem Tod von Eduard VI. (1537–1553), dem Sohn des Königs aus seiner Ehe mit Jane Seymour (1509–1537), dennoch gelang, den Thron zu besteigen, wurde England wiederum von einer katholischen Monarchin regiert. Dass diese Philipp II. heiratete, ist den dynastischen Schachzügen von dessen Vater zu verdanken. Dass allerdings in England die Schuld am Tod all der Märtyrer der anglikanischen Kirche, allen voran der Tod des Erzbischofs von Canterbury Thomas Cranmer (1489–1556), Philipp II. zugeschrieben wurde, war übertrieben, da Philipp II. sich damals gar nicht in England befand, sondern am Hof seines Vaters in den Niederlanden. Dennoch konkretisierte sich in England ein weiterer antispanischer Mythos. Die intolerante Haltung der Königin gegenüber jeder Form des Protestantismus war demgemäß auf ihre spanische Abstammung, auf ihren spanischen Gemahl und auf ihre spanische Verwandtschaft zurückzuführen. Dass viele spanische Hochadlige mit Hundertschaften an Gefolge Philipp II. auf seiner Hochzeitsfahrt begleitet hatten und mit ihrem Reichtum und ihrer Überheblichkeit an allen Orten aneckten, verschärfte anti-spanische Gefühle in England noch zusätzlich.23
Maria starb schließlich und hinterließ ihrem Witwer nur den Anspruch auf den Titel eines Königs von England. In Gibraltar, das noch heute ein britisches Überseegebiet ist, wird daran noch zynisch erinnert: Auf der Verteidigungsmauer, die auf Befehl Philipps II. zwischen der Siedlung an der Küste und den Spitzen des Affenfelsens errichtet wurde, prangt ein Schild mit den Worten "Philipp II. von Spanien, der sich auch König von England nannte, ließ diese Mauer errichten". Einige halbherzige Heiratsanträge Philipps II. nahm Elisabeth I. (1533–1603), die Halbschwester der verstorbenen Königin, nicht an. Doch sie "gegenreformierte" die Gegenreformation ihrer Vorgängerin. Das wiederum konnte am spanischen Hof keine Zustimmung finden. Als dann auch noch ein Handelskrieg mit den spanischen Niederlanden ausbrach und Elisabeth I. englische Kapitäne unterstützte, die in den spanischen Machtbereich in der Karibik eindrangen, unter ihnen der noch heute allseits bekannte Francis Drake (1540–1596), verschärfte sich der Konflikt. Als Drake wieder einmal karibische Häfen überfiel, entschied sich Philipp II., England zu bestrafen und zurück zum Katholizismus zu führen. Da er seit 1581 auch über die Ressourcen Portugals verfügte, schien eine Besetzung Englands machbar. 1588 verließ die "Große Armada" Lissabon und A Coruña, um ein Strafgericht über die englische Königin zu halten. Dass dieses nicht gelang, war den widrigen meteorologischen Bedingungen zuzuschreiben, die die Spanier zum Abbruch der Invasion zwangen. Die Engländer stellten diesen "Sieg" als ein Gottesurteil dar und gewannen die nachfolgende Propagandaschlacht.24 Ein weiterer Bestandteil des anti-spanischen Mythos war geschaffen.
Ein großer Hof wie jener Philipps II. war voll von Intrigen zwischen Hofparteiungen und rivalisierenden Adelsgruppen, die alle einen Sonnenplatz im Zentrum der Macht anstrebten. Vor allem der Clan rund um das Haus der Éboli, Herzöge von Pastrana, und jener der Alba kämpften um die königliche Gunst. Daneben gab es noch die königlichen Sekretäre, Meister der Verwaltung, ohne die die Regierung eines derartig komplizierten Herrschaftsgeflechts wie der spanischen Monarchie gar nicht möglich gewesen wäre. In eine dieser Intrigen, die sich zu einem Skandal ausweitete, der zum schlechten Ruf der Spanier beitragen sollte, war Antonio Pérez (1540–1611) verwickelt, einer dieser Sekretäre, der wohl seine Macht im Intrigenspiel der Adelsclans genoss. Als Juan de Austria (1547–1578), der Halbbruder des Königs, 1576 als Gouverneur in die Niederlande ging, begleitete ihn sein persönlicher Sekretär Juan de Escobedo (1530–1578), ein Geschöpf des Éboli-Clans, der allerdings in den Niederlanden entdeckte, dass Pérez, dem Juan de Austria vertraute, in Madrid ein doppeltes Spiel trieb und versuchte, das Vertrauen Philipps II. in seinen Bruder zu untergraben. Juan sandte daher Escobedo zurück nach Madrid, um die Verhältnisse klarzustellen, was Pérez in Alarmbereitschaft versetzte, weil er nun fürchten musste, dass auch Philipp II. sein doppeltes Spiel erkennen könnte. Er entschloss sich, Escobedo eliminieren zu lassen, und Philipp II. wird bis heute angelastet, dass er über die Attentatspläne informiert war. Ob er tatsächlich seine Zustimmung zu dem Mord gab, bleibt jedoch nach wie vor unklar. Tatsache ist, dass Philipp II. nichts unternahm, um die Tötung des Sekretärs zu verhindern, was dafür spricht, dass es Pérez gelang, die Beseitigung Escobedos als eine politische Notwendigkeit darzustellen. Escobedo wurde am 31. März 1578 in der Nähe des Alcázar von Madrid von einigen Maskierten niedergestochen, eine den Zeitgenossen als ungeheuerlich erschienene Tat.
Es steht außer Zweifel, dass Philipp II. anfänglich die Hintermänner des Mordes schützen und das Verbrechen aus Staatsräson vertuschen wollte. Die Attentäter, die Pérez angeworben hatte, wurden jedenfalls nicht verfolgt. Erst nach einigen Monaten, als in Madrid die Gerüchte über den Mord schon überkochten, sah sich der König veranlasst, die Hintergründe untersuchen zu lassen. Pérez, gegen den sich nun alle Verdächtigungen richten sollten, ließ keinen Zweifel daran, dass Philipp II. der wahre Schuldige sei. 1598, schon lange im Exil in Frankreich, veröffentlichte er seine Relaciones, ein Kompendium wütender Anschuldigungen gegen den König.25 Diese Schriften waren für die Konstruktion antispanischer und gegen Philipp II. gerichteter Propaganda zweifellos ein willkommenes Geschenk.26
Schließlich ist noch einmal auf Rómulo D. Carbia zu verweisen.27 Denn auch das Verhalten der Spanier in Amerika wurde vielfach kritisiert. Berühmt ist die Predigt des Dominikanerfraters Antonio de Montesinos (ca. 1480–1540) aus dem Jahre 1511, in der sich dieser scharf gegen die Repartimientos, die Zwangsarbeit der Indios, aussprach. Doch nicht nur dagegen gab es zahllose Proteste, vor allem von kirchlicher Seite, sondern auch gegen die Grausamkeiten, die sich gegen die Indios richteten. Zu Berühmtheit gelangte vor allem der Bericht des Bartolomé de Las Casas (1484–1566) über die Zerstörung der Westindischen Länder (Brevísima relación de la destrucción de las Indias Occidentales), der in seiner Detailgenauigkeit erschüttert, um ein mildes Wort zu gebrauchen. Ein Zitat, ein sehr "harmloses", möge in diesem Zusammenhang genügen:
… in dieser Provinz von Neu-Spanien pflegte ein gewisser Spanier mit seinen Hunden zuweilen Kaninchen und anderes dergleichen Wildbret zu fangen. Eines Tages fand er nichts zu jagen, und es schien ihm, als hätten seine Hunde Hunger. Da nahm er ein Knäbchen, welches er seiner Mutter entriss, hieb ihm mit seinem Dolche von Armen und Beinen ein Stück nach dem anderen herunter und gab jedem Hunde sein Teil davon. Als sie nun diese Stücke aufgefressen hatten, warf er das Körperchen auf die Erde, damit sie es zusammen verzehrten.28
Nicht zuletzt unter dem Einfluss von Las Casas wurde 1542 durch die Neuen Gesetze (Leyes Nuevas) die Sklaverei ebenso abgeschafft wie die Neuausgabe von Encomiendas (von der spanischen Krone an Kolonisten verteilte Landgüter auf denen die dort lebenden Eingeborenen Arbeitsdienste verrichten mussten) verboten. Doch der Ruf der Spanier war zu diesem Zeitpunkt schon ruiniert. Vor allem die Niederländer zitierten immer wieder Las Casas, um aufzuzeigen, dass die Grausamkeit der Spanier überall auf der Erde zu beobachten sei. Und das Buch wurde in viele Sprachen übersetzt. Im Vorwort zur englischen Ausgabe, publiziert in London 1689, wird ausdrücklich auf die schon erschienen Auflagen in Latein, Deutsch, Niederländisch und Französisch verwiesen.29 Das Druckjahr 1689 ist zusätzlich vielsagend: Nachdem in der englischen Revolution von 1688 die Etablierung einer katholischen Dynastie verhindert worden war, konnte es nicht schaden, antikatholische Gefühle zu stärken. Außerdem handelte der Text von Las Casas von der Karibik, in der in jenen Jahren auch die Engländer Fuß fassen wollten. Da war es durchaus opportun, gegen die Spanier Propaganda zu machen, die ihrerseits den Engländern vorwarfen, grausam zu sein.30
Das Bild der Spanier zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert
Während des 17. Jahrhunderts ließen die Vorwürfe gegen die Spanier also nicht nach, obwohl die Vertreibung der Morisken, der zwangschristianisierten Nachkommen der Mauren auf der Iberischen Halbinsel, ab dem Jahre 1609 die anderen europäischen Mächte vergleichsweise wenig interessierte. Nach dem Dreißigjährigen Krieg verlor die spanische Monarchie mit den Westfälischen Friedensverträgen von 1648 und dem Pyrenäenfrieden von 1659 ihre hegemoniale Stellung in Europa. Damit einher ging der Verlust ihrer Position als bevorzugtes Objekt der europäischen Kritik, obwohl Spanien neben Frankreich und Großbritannien wegen seines ausgedehnten und ständig wachsenden überseeischen Imperiums auch im 18. Jahrhundert noch immer eine der wichtigsten Weltmächte war. Doch nach den Napoleonischen Kriegen ging das spanische Imperium in Amerika zum größten Teil verloren. In Spanien selbst begann das Lamento über den Niedergang und den Verlust des früheren Glanzes.
Lange vor dem Zusammenbruch großer Teile des spanischen ultramarinen Imperiums wurde Friedrich Schillers (1759–1805) Werk Dom Karlos. Infant von Spanien in Hamburg 1787 zum ersten Mal aufgeführt.31 Das Theaterstück provozierte vor allem im deutschen Sprachraum eine neue Verdichtung antispanischer Vorurteile. Juderías ist in seiner Bewertung des Stücks denn auch mehr als eindeutig: "Als literarisches und poetisches Werk gibt es wenige, die es in seiner Dramatik und Dichtkunst übertreffen. Als historisches Werk ist es eine Absurdität vom Anfang bis zum Ende."32 Schiller hatte sich zwar ausführlich über Philipp II. und dessen Sohn Carlos informiert, doch hauptsächlich französische Darstellungen ausgewertet, die alle Spanien nicht besonders freundlich gesinnt waren.33 Dem Ansehen Spaniens schadete Schiller beträchtlich, zumindest nach Ansicht von Juderías. Negative Vorstellungen von Spanien wurden durch das Stück zweifellos verbreitet, und nicht nur im deutschen Sprachraum, sondern in ganz Europa, wurde doch Schiller in zahlreiche Sprachen übersetzt. Noch verstärkt wurde der Einfluss von Schiller, weil sich Giuseppe Verdi (1813–1901) in seiner 1867 in Paris uraufgeführten Oper Don Carlo beträchtlich auf Schiller stützte. Damit wurden antispanische Vorurteile auch mit den Mitteln der Musik vermittelt, und zwar überall dort, wo man Opern hörte.
Schließlich ist noch ein weiterer Schriftsteller zu nennen, nämlich Alessandro Manzoni (1785–1873). Vor allem in seinem berühmten Hauptwerk I promessi sposi (Die Brautleute), erschienen 1827 und beträchtlich überarbeitet 1840 bis 1842, kamen die Spanier im Mailand des 17. Jahrhunderts schlecht weg. Manzoni wurde in alle wichtigen Weltsprachen übersetzt, sodass wieder einmal eine italienische Ansicht über die Spanier weite Verbreitung fand.
Mit Schiller, Manzoni und Verdi wenig zu tun hat auf den ersten Blick José Rizal (1861–1896), philippinischer Arzt und Schriftsteller, doch dieser kannte aufgrund langer Aufenthalte in Europa sehr genau dessen Kultur und deren Produkte, also auch Manzoni, Schiller und Verdi. 1887 veröffentlichte er ein Buch unter dem Titel Noli me tangere, in dem er die spanische Verwaltung und vor allem die spanischen Geistlichen auf den Philippinen heftig kritisierte, ihnen Bestechlichkeit und sexuelle Übergriffe vorwarf.34 Nach dem Ausbruch des philippinischen Aufstandes gegen die spanische Kolonialherrschaft wurde Rizal verhaftet und wegen seiner angeblichen Beteiligung an einer antispanischen Verschwörung hingerichtet. Er wurde damit nicht nur zu einem der wichtigsten Helden der philippinischen Unabhängigkeitsbewegung, sondern seine Werke wurden vielfach publiziert und in viele Sprachen übersetzt. Neuerlich war ein Buch entstanden, in dem die Spanier negativ beschrieben wurden und das von ihren Gegnern genussvoll zitiert wurde und noch wird.
Gibt es wirklich eine Leyenda negra, die die Spanier systematisch verunglimpft? Dies kann man wohl verneinen. Doch ist der Begriff praktisch zu verwenden, um antispanische Aussagen zu benennen und zusammenzufassen. Vor allem ist aber daran zu denken, dass er für die Spanier selbst sehr gelegen kommt. Denn unter seinem Schutz kann jedwede Kritik an Spanien und seinen Bewohnern sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart als unfundiert zurückgewiesen werden.