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Einleitung: Medien und ihre Funktionen im Dreißigjährigen Krieg
Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) entwickelte sich aus einem politischen und konfessionellen Konflikt zwischen Kaiser Ferdinand II. (1578–1637) und dem böhmischen Adel zu einem europaweiten Krieg, weil beide Seiten nicht nur im eigenen konfessionellen Lager Verbündete fanden. Er musste deshalb auch auf zwei europäischen Mächtekongressen beigelegt werden (Münster und Osnabrück 1648, daher "Westfälischer Friede"). Für das Reich führte er zu einem rechtlich gesicherten Konfessionenstand; für Europa begründete er die Notwendigkeit ständiger Gesandter und damit ein System dauernden diplomatischen Austausches.1 Er war auch der erste europäische Krieg, über den regelmäßig in periodischen Medien berichtet wurde. Vor dieser Zeit wurden in Europa, von Chroniken abgesehen, nur einzelne punktuell fassbare kriegerische Ereignisse in Flugblättern oder Flugschriften beschrieben, oft auch religiös oder politisch gedeutet. Periodische Medien – vor allem die seit 1605 im Heiligen Römischen Reich wöchentlich erscheinenden Zeitungen, aber auch die halbjährlich oder dreimal jährlich erscheinenden Messrelationen2 – konnten längere Entwicklungen über Monate und Jahre hinweg kontinuierlich verfolgen. Vielleicht entwickelten die Europäer überhaupt erst aufgrund der fortdauernden und regelmäßigen Berichterstattung die Vorstellung, dieser Krieg sei ein einheitlicher Ereigniszusammenhang, eben "Der Dreißigjährige Krieg", und nicht eine Kette voneinander unabhängiger Konflikte an zum Teil weit voneinander entfernten Schauplätzen.3
Für viele europäische Länder kann der Krieg als Initialzündung für eine periodische Berichterstattung überhaupt gelten. Ab 1618 wurden in Amsterdam regelmäßig Nachrichtenbriefe aus Deutschland, Italien und anderen Gebieten gesammelt und unter anderem in Köln als Wochentliche Niderlandische Postzeitungen gedruckt.4 Ab 1620 gab es Übersetzungen dieser Nachrichtenbriefe ins Englische;5 ab 1621 informierende Flugschriften, die "newsbooks" genannt wurden.6 In Antwerpen erschien die erste wöchentliche Zeitung (Nieuwe Tijdinghen) 1618, in Paris (Gazette) 1631.7 Im Reich gab der Krieg den Anlass für die Gründung zahlreicher neuer Wochenzeitungen, etwa in Hildesheim, Halberstadt und Stuttgart.
Die genannten periodischen Medien waren jedoch nicht die einzigen, die es im Dreißigjährigen Krieg gab. Im Gegensatz zur heutigen Zeit, in der "die Medien" alle im virtuellen Netz integriert sind, konnten die Medien des 17. Jahrhunderts nicht ohne weiteres ineinander üTheatrum europaeum).8 Daneben existierten handgeschriebene Nachrichtenbriefe (oft "Zeitungen" genannt, weil das Wort "Zeitung" damals allgemein "Nachricht" bedeutete), die wöchentlich von bezahlten Schreibern zusammengestellt wurden und kein normiertes Format haben mussten. Außerdem gab es Zusammenstellungen von Nachrichtenbriefen oder Auszügen, die man (hand)geschriebene Zeitungen nennt;9 Bildflugblätter mit Holzschnitten oder Kupferstichen10 sowie Nachrichtenlieder, die von umherziehenden Unterhaltungskünstlern (und -künstlerinnen) vorgetragen wurden.11 Die Medien nutzten unterschiedliche "Kanäle" (Buchdruck, Handschrift, Bild, Ton, theatralische Formate), und jedes Medium konnte mehrere Funktionen erfüllen. Die Funktion aber, nicht das "Format" oder der "Kanal" des Mediums, bestimmte, wie "der Krieg" im jeweiligen Medium vorkam und "ankam". Wenn der Dreißigjährige Krieg als Medienereignis dargestellt werden soll, geht es also darum, zu zeigen, in welchen Aspekten und in welcher Art der Krieg in den Medien seiner Zeit vorkam; und das wiederum ist nur möglich, wenn man von der Funktion der einzelnen Medien ausgeht, also davon, was sie leisten oder bewirken sollten. Vier wichtige Funktionen von Medien im Dreißigjährigen Krieg lassen sich unterscheiden, nämlich 1. Faktenberichterstattung, 2. Kontextualisierung, 3. Kommentierung und Agitation, 4. zusammenfassende, oft allegorisierende Deutung. Anhand dieser Funktionen soll im Folgenden dargestellt werden, wie der Krieg in den Medien seiner Zeit zum "Ereignis" wurde.
Krieg als Ereignis- und Faktenkette
Die gründliche Forschung zu den interpretierenden und kommentierenden Flugschriften des Dreißigjährigen Krieges12 lässt leicht vergessen, dass das weitaus meiste Papier in diesem Krieg dazu verwendet wurde, Fakten weiterzugeben. Unabhängig von dem Problem, dass berichtete "Fakten" selbst schon auf Interpretation beruhen können, soll als "Faktum" in diesem Zusammenhang alles verstanden werden, was die Berichterstatter für die Medien selbst für real hielten und deshalb ihren Zeitgenossen als real mitteilten.13 Sehr viele Medien des Dreißigjährigen Krieges wurden hauptsächlich oder überwiegend zur Faktenmitteilung in diesem Sinne eingesetzt: Zeitungen, informierende Flugschriften (oft nach den Anfangsworten der Titel als "Neue Zeitung", d. h. "Neue Nachricht" bezeichnet),14 Messrelationen, aber auch manche Bilder und Lieder. Bei den handgeschriebenen und gedruckten Medien wurde die Faktizität durch die typische Datumszeile beglaubigt. Sie nannte in standardisierter Form Ort und Zeit der Aufzeichnung der Nachricht – nicht des Geschehens selbst. Falls dies datierbar war, musste dieses Datum ein zweites Mal genannt werden, wie in dem folgenden Nachrichtenbrief, der in einer Magdeburger Messrelation von 1620 abgedruckt wurde:
Auß Prag/ vom 8. Martij. Diese Tag hat der Feind auß Budweis Bellischitz eingenommen/ alßdann vor Wittlingaw ankommen/ die Vorstadt daselbst in Brand gesteckt/ und angefangen die Stadt zu beschiessen/ die vnsern aber so 4. Fähnlein zu Fuß darin liegen/ haben sich dermassen/ gewert daß er wieder abziehen müssen. ... Denn 3. diß ist Jhr May. erst von Preßlaw nach Laußnitz auffgebrochen/ vnd erwart man derselben inner 8. Tagen alhier/ alßdann die Kindtauffen den 19. diß gehalten/ hernacher Jhr May. Persönlich sich ins Feld begeben werden (...).15
Dieser Auszug zeigt auf eine typische Art, wie der Krieg in den Nachrichtenbriefen "ankam" und über sie auch in allen anderen Medien der "Faktenberichterstattung", weil und insofern diese sich auf Nachrichtenbriefe stützten. Geographische Begriffe oder Zahlen wurden genau angegeben, um die Faktentreue zu beweisen; wer "der Feind" und wer "die vnsern" waren, mussten die Leser sich allerdings selbst erschließen. Um die Nachrichten zu verstehen, war es entsprechend nötig, die Kriegs- und Bündnislage zu kennen. Die einzelnen Kriegsereignisse wurden möglichst genau, aber knapp und ohne Ausschmückung beschrieben. Spannungsaufbau war zwar nicht unbekannt, in der Nachrichtenberichterstattung aber verpönt, wie man dem kurzen Bericht der Frankfurter Messrelation über den Prager Fenstersturz entnehmen kann:
(...) nach dem Herr Oberster Burggraff neben Herrn Popel Creutzherrn vnn grossen Prior bey vnser lieben Frawen/ sich jhres Gefallens zimlich accomodirt/ entgegen Herr Schlabata oberster Landhoffrichter vnd Herr Schmisantzky etwas widerpart gehalten/ als haben die Ständt die ersten zween beyseits begert vnd hierzwischen Herrn Schlabata vnd Herrn Schmisansky neben dem Secreatrio M. Pilipps auß der Cantzley durchs Fenster in Graben/ so ein grosse Höhe herunter/ werffen lassen/ sind aber alle drey durch Gottes Schickung beym leben blieben/ (...).16
Namen, Ämter und Titel sind genau benannt, aber Zusatz- oder Hintergrundinformationen gibt es nicht; erst recht versagt sich der Berichterstatter jede Reflexion über die Bedeutung des Ereignisses. Doch auch in diesem Bericht wird viel vorausgesetzt: Die Leser müssen wissen, wer "die Ständt" sind, und die Bedeutung der Titel wenigstens ahnen, um das Ereignis einordnen zu können. Reine Nachrichtenberichterstattung im Dreißigjährigen Krieg verzichtete oft – nicht immer – auf Hintergrundinformationen und Erklärungen. Deshalb verlangten die Nachrichten von den Lesern großes Vorwissen – oder die Fähigkeit und Zeit, sich über längere Zeit hinweg in den Nachrichtenstoff einzulesen.
Der Prager Nachrichtenbrief zeigt außerdem, dass nicht nur die spektakulären "großen" oder "entscheidenden" Ereignisse den Weg in die Medienberichterstattung der Zeit fanden, sondern auch kleinere Gefechte, ja sogar letztlich erfolglose Unternehmungen, die in nicht periodischen Medien gar nicht vorgekommen wären. Der Grund für diese Aufwertung der kleinen Kriegsereignisse, wie man das nennen könnte, lag in der kurzen Periodizität vieler Nachrichtenmedien. Nachrichtenbriefe und Zeitungen erschienen wöchentlich; ihre Schreiber und Zusammensteller (Kompilatoren, Redakteure) mussten also wöchentlich eine Mindestmenge Papier mit Nachrichten füllen, wofür sie bezahlt wurden. Für diese wöchentliche Mindestmenge hätten die "großen" Ereignisse nicht genügend und vor allem nicht regelmäßig Stoff geliefert – ganz abgesehen davon, dass sich die Bedeutung einer Schlacht oder eines Ereignisses auch erst aus einigem zeitlichem Abstand erschließen kann, den der Schreiber eines Nachrichtenbriefs oder einer Zeitung unter dem Zwang zur Aktualität nicht haben konnte.
Umfangreichere Schriften konnten auch längere Entwicklungen beschreiben. Das für den Dreißigjährigen Krieg typische längerfristige "Ereignis" war die Belagerung. Der Belagerungsbericht stellte ein typisches Genre für selbständige nicht periodische Veröffentlichungen17 oder Messrelationen dar. In den unregelmäßig erscheinenden Veröffentlichungen wurde das Geschehen zusammenfassend chronologisch dargestellt, in den Messrelationen in einzelne, oft weit voneinander getrennte Abschnitte auseinandergezogen, deren "jüngste" möglichst aktuell sein sollten. Ein Belagerungsbericht wurde in der Regel tagesgenau abgefasst. Am Ende stand entweder der Abzug der Belagerungstruppen oder die Eroberung, selten mit Sturm, meist durch "Accord", ein Übereinkommen nach vorangegangenen Verhandlungen zwischen dem Befehlshaber der Belagerungstruppen und dem Festungskommandanten oder von ihnen Bevollmächtigten.18 Sofern der Druckraum ausreichte, wurde der "Accord" wörtlich und vollständig gedruckt.19
Zur Faktenberichterstattung im genannten Sinne sind auch viele Kupferstiche zu rechnen, die Kriegsereignisse, wie etwa eine Beschießung oder die Aufstellung von Truppen um eine Festung, darstellen.20 Solche Bilder sind wegen der langwierigen Herstellungsverfahren nicht mit Photographien zu vergleichen, sondern setzten die Ereignisse, die in den Berichten festgehalten waren, nachträglich und oft schematisch "ins Bild". Scheinbar dramatische und "aktuelle" Bilder entstanden in Wahrheit lange nach den Ereignissen, das vom Prager Fenstersturz als angeblichem Auslöser des Krieges beispielswiese wurde erst um 1640 hergestellt.21 Die meisten "Bilder" aus dem Dreißigjährigen Krieg zeigen statische, unbewegliche Sujets, etwa eine Festung im Grundriss oder in Aufsicht, um sie her die Aufstellung der Truppen, oft mit Beschriftungen oder mit Ziffern, die an anderer Stelle erklärt werden.22 Eine Beschießung kann durch rauchende Kanonen dargestellt werden,23 durch Linien, die die Schussrichtung angeben,24 oder durch Geschossparabeln.25
Ein typisches Genre der Faktenberichterstattung war die Liste, etwa der Truppenstärke und der Regimentskommandeure.26 Solche Listen wurden zu Beginn eines Feldzugs veröffentlicht und sollten wohl zeigen, welche Kommandeure Soldaten annahmen, oder schlicht die eigene Stärke demonstrieren. Nach einer erfolgreichen Belagerung veröffentlichten die Sieger Listen der Vorräte an Lebensmitteln, Kriegs- und anderen Gütern in der eroberten Festung.27 Nach Schlachten war es auf beiden Seiten üblich, Listen der gefangenen und gefallenen Offiziere drucken zu lassen.28 Gefangene konnten gegen Geld ausgelöst ("ranzioniert") werden, wenn sie es nicht vorzogen, den Dienstherrn zu wechseln.
Krieg als Ereigniszusammenhang (mit propagandistischen Untertönen)
Medien von größerem Umfang pro Einzelstück und niedriger Erscheinungsfrequenz wie die Messrelationen, aber auch selbstständige Einzelveröffentlichungen, konnten den "trockenen" Faktenbericht durch offizielle Schreiben oder ausführliche Beschreibungen ergänzen. Dadurch wurden die berichteten Fakten zugleich in Zusammenhänge verschiedenster Art eingebettet, militärische Bewegungen oder die besondere Rolle Einzelner traten hervor. Ein deutschsprachiges Lied in 11 Strophen (von Marcus Liborius Vulturnus aus Tannenberg, der mit Akronym zeichnete) zum Beispiel erzählte den Sieg Wallensteinischer Truppen über Mansfeld an der Dessauer Brücke am 5./15. April 1626 und trug damit auf seine Art zur breiteren Darstellung von Schlachtenereignissen bei.29 Ausführliche Schilderungen einer Schlacht oder die Einbeziehung schriftlicher Dokumente erwecken vielfach den Eindruck, als handle es sich um besonders faktengesättigte Berichterstattung. Aber solche Ergänzungen lassen auch grundsätzlich die Übergänge zur interessegeleiteten Schilderung, zur Stilisierung und zur Propaganda fließend werden. Für den Dreißigjährigen Krieg hat Göran Rystad (geb. 1925) am Beispiel der Nördlinger Schlacht von 1634 gezeigt , dass die Schlachtenberichte aller Seiten redaktionell bearbeitet wurden.30 Sie gründeten sich zwar auf Berichte führender Offiziere, die an der Schlacht beteiligt gewesen waren. Von ihnen gelangten sie aber zunächst in die Kriegskanzlei des jeweiligen Hofes, wurden dort redigiert, gegebenenfalls mit weiterem Material ergänzt und in dieser Form gedruckt veröffentlicht. So konnten die Sieger (in Nördlingen der Kaiser und Spanien) die Leistungen ihrer Armeen und Oberbefehlshaber herausstellen. Den Unterlegenen war die Schwere der Niederlage zunächst nicht klar, oder sie wurde heruntergespielt. Der erste Bericht über die Nördlinger Schlacht in der Frankfurter Messrelation vom Herbst 1635 schloss noch hoffnungsvoll mit den Worten, Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar (1604–1639) bemühe sich, "die zerstrewete Truppen widervmb zu samblen", damit dann "dem Feind mit gantzer macht opponirt werden" könne.31 Erst im folgenden Frühjahr wurde das Ausmaß der Niederlage deutlich und dann auch zugegeben: "Vnd obwol anfänglich auff der Keyserischen Seiten auch nit ein geringer Schade geschehen (...) so ist jedoch ein solches gegen der Schwedischen Niederlag vor fast nichts/ oder ja gantz gering zu achten".32
Dass auch die Veröffentlichung von Dokumenten einer propagandistischen Absicht folgen kann, ist für den Dreißigjährigen Krieg aus dem sogenannten "Kanzleienstreit" bekannt: Bei seiner überstürzten Flucht aus Prag hatte der böhmische "Winterkönig" Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz (1596–1632) Teile seines Kanzlei-Schriftguts zurücklassen müssen.33 Es geriet in die Hände seiner Gegner, die es in einer gezielten Auswahl veröffentlichten und daraus die Existenz eines umfassenden antikaiserlichen Bündnissystems zu beweisen suchten.34
Vor allem in Situationen, in denen starke religiöse Energien im Spiele waren – und solange der lange Krieg noch nicht die Friedenssehnsucht zum alles beherrschenden Thema gemacht hatte –, brach bei vielen Schreibern auch dann konfessionelle Parteinahme durch, wenn sie sich ansonsten auf Faktenberichterstattung zu beschränken bemühten; und in der Situation konfessioneller Konflikte war das auch kaum zu vermeiden. "Wertung" beginnt ja schon dann, wenn Fakten so miteinander verbunden werden, dass die Leser einen Zusammenhang von Kausalität oder sogar von Schuld annehmen müssen, wie in der informierenden Flugschrift "Pommerischer Verlauff" von 1630, die aus Zeitungs- und anderen Nachrichten zusammengestellt war und in der es hieß, die kaiserlichen Truppen befänden sich in Pommern "nicht mit geringem Verderben der armen Vnterthanen/ bloß zu diesem vorgebendem Jntent/ höchsterwehnter Jhrer Keyserl. May. Feinden zu resistiren/ vnd die Pässe zu verlegen".35 Die Präposition "mit" stiftet wörtlich keinen Kausalzusammenhang, dennoch wird er nahegelegt und damit der kaiserlichen Armee die Verheerung Pommerns zugeschrieben. Wertung kann aber auch der sachlichen Deutung eines Ereignisses sehr nahe stehen, wie in einer anonymen zeitgeschichtlichen Chronik aus dem Jahre 1628, in der die dänische Niederlage von Königslutter in folgender Form vorkam:
Den 17. Augusti/ Jst die grosse Niderlag zwischen Herrn General Tylli vnd König in Dennemarck bey dem Schloß Lutter vorgangen/ da der Dennischen über 6000. darunter viel fürneme Obristen jhren Geist auffgeben/ also das diese Victori der auff dem Weisenberg erhaltenen vorzuziehen.36
Dieser Ausschnitt beschränkt sich auf eine knappe Darstellung des Faktums, bringt aber eine Wertung ins Spiel, indem er – aus der Perspektive der Sieger – den Erfolg mit dem der Schlacht am Weißen Berg gegen den böhmischen "Winterkönig" vergleicht und höher bewertet.
Krieg als Anlass zur Debatte und Agitation
In solchen Flugschriften, deren Aufgabe hauptsächlich im Argumentieren, Debattieren und Bewerten lag, spielte der Krieg als Abfolge faktischer Geschehnisse eine geringe Rolle. Vielmehr debattierten die streitenden Parteien darüber, worum es in dem Krieg eigentlich gehe.37 Nach Ansicht des Kaisers Ferdinand II. und seiner Verbündeten ging es zu Beginn des Krieges darum, das kaiserliche Recht auf die Krone Böhmens zu verteidigen, das in der Goldenen Bulle von 1348 fixiert sei. Dieses Recht anerkannten die böhmischen Stände nicht, wehrten sich und wählten einen eigenen König.Außerdem sahen sie sich in ihren religiösen Rechten verletzt, die der Böhmische Majestätsbrief von 1609 garantiert habe.38 Beide Kriegsparteien suchten also unter Berufung auf Rechtsdokumente zu belegen, dass ihr Krieg "gerecht" (bellum iustum) und damit legitim sei, sowohl vor den eigenen Anhängern und Truppenangehörigen als auch gegenüber der gegnerischen Partei.
Obwohl das Reformationsjubiläum von 1617 die Spannungen zwischen den Konfessionen im Reich wahrscheinlich erhöht hatte,39 verfing die böhmische Propaganda im Reich nicht. Die meisten lutherischen Reichsstände sahen die Böhmen nicht als Glaubensbrüder an, neigten eher dem Rechtsstandpunkt des Kaisers zu oder sahen sich zu einem Krieg finanziell nicht in der Lage. Nach der Niederlage der Böhmen in der Schlacht am Weißen Berg wurde ihr König Friedrich als "Winterkönig" – König einen Winter lang – in vielen Flugblättern verspottet.40 Ein zeittypisches Rebus-Flugblatt41 ließ die hochgestellten Anhänger des Pfalzgrafen als blinde Bettler und Flüchtlinge auftreten42 und erniedrigte den gestürzten König noch durch die derbe Bemerkung, er habe auf der Flucht "Das (Engel)lendisch (Hosen)band" (den Hosenbandorden) verloren. Ein Flugblatt bildete einen "PostBott" ab, der laut den beigefügten Versen im ganzen Land nach dem Pfalzgrafen suchte und ihn nicht finden konnte, so dass er die Verse als Kehrreim wiederholte: "Ey liebe sagt wo find ich doch / Den verlornen Pfaltzgrafen noch?"43
Als der Krieg weiterging und der Kaiser militärisch erfolgreich blieb, verschob sich der Akzent der Publizistik, da die Untätigkeit der lutherischen Stände zu einem politischen Problem wurde. Schreiber reformierter Konfession mahnten, die Untätigkeit der Lutherischen ebne einer spanisch-katholischen Weltherrschaft den Weg.44 Die Lutherischen denunzierten ihrerseits die Reformierten als unverlässliche Bündnispartner, die nur darauf warteten, selbst die Oberhand zu gewinnen. In diesen Argumentationen erschien der Krieg als Kampf konfessioneller Kriegsparteien, denen es darum ging, ihren Bestand zu erhalten, zu verteidigen und, wenn möglich, ihre Macht zu vergrößern. Die kaiserliche Partei (zu ihr gehörten überwiegend katholische Reichsglieder) brauchte in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts keine besondere publizistische Rechtfertigung, weil sie ohnehin militärischen Erfolg hatte und zudem am Stillhalten der lutherischen Stände interessiert war. Nur wenige protestantische Flugschriften und Flugblätter (reformierter oder lutherischer Herkunft) artikulierten in dieser Phase die Hoffnung auf militärische Entlastung durch einen Retter, der als biblischer "Löwe aus Mitternacht" gesehen wurde.45
Auf dieses Bild, das schon in der Publizistik der 1620er Jahre aufgetaucht war, konnte sich König Gustav Adolf II. von Schweden (1594–1632) stützen, als er 1630 "aus Mitternacht" (d. h. von Norden) an der pommerschen Ostseeküste landete. Damit begann die "schwedische" Phase des Krieges, die publizistisch vor allem durch die Verherrlichung Gustav Adolfs geprägt war. In Flugschriften und Flugblättern wurde er als Streiter für Christus, Retter des bedrängten Protestantismus, ja als beinahe göttlicher Held geschildert.46 Der Krieg insgesamt wurde zu einem quasi-eschatologischen Kampf um die Vorherrschaft Christi und des wahren Glaubens stilisiert. Noch nach Gustav Adolfs Tod in der Schlacht bei Lützen47 (1632) erschienen Flugblätter, die beinahe trotzig sein Weiterleben postulierten: "Der Schwede lebet noch!"48. Das Bündnis mit Schweden einzugehen bzw. nach dem Tod des Königs daran festzuhalten, wurde auf diese Weise als religiöse Pflicht der Protestanten dargestellt. Das war der Zweck dieser unzähligen propagandistischen Presseprodukte, ob sie von deutschen oder schwedischen Lutheranern stammten.
Der Kaiser geriet in dieser Phase des Krieges auch publizistisch in die Defensive, nicht nur aufgrund der schwedischen Kriegserfolge, sondern auch, weil er die Herzöge von Mecklenburg geächtet und "seinen" Feldherrn – Herzog Albrecht von Wallenstein (1583–1634)[] – an ihre Stelle gesetzt hatte. Das war nicht nur ungewöhnlich, sondern ungesetzlich und nötigte den Kaiser zu einer ausführlichen Rechtfertigung.49 Die Acht gegen Wallenstein vier Jahre später hatte zumindest einigen Rückhalt am Reichsherkommen (d.h. dem Gewohnheitsrecht), und die Rechtfertigung des Kaisers konnte knapper ausfallen.50
Die letzte große publizistische Debatte des Krieges drehte sich darum, ob die protestantischen Reichsstände sich dem Prager Frieden anschließen sollten, der 1635 zwischen dem Kaiser und den katholischen Reichsständen einerseits und Kursachsen andererseits geschlossen worden war. Zwar sprachen die Leiden des langen Krieges dafür; aber die Unterzeichnung des Friedens bedeutete auch, dass die Protestanten sich damit militärisch gegen ihren bisherigen Verbündeten Schweden wenden mussten. Außerdem garantierte der Friedensvertrag dem Kaiser das Recht, in seinen Erblanden den Katholizismus wieder zur verbindlichen Konfession zu machen. Einen solchen Frieden zu schließen bedeutete also für die Protestanten, dass sie sowohl das bisherige Bündnis mit Schweden aufkündigen als auch die Glaubensgenossen in den kaiserlichen Ländern im Stich lassen würden.51 Hinzu kam, dass viele Protestanten dem Kaiser das Recht nicht zugestehen wollten, bestimmte Arten von Kirchengut, das von Protestanten für ihre Kirche verwendet worden war, wieder für die katholische Kirche einzuziehen, auch nicht, wie es der Prager Friede vorsah, nach einer Übergangsfrist von vierzig Jahren.52 Die schwierige Entscheidung befeuerte die Debatte. Das Scheitern des Friedens von Prag, dem sich zwar die meisten, aber nicht alle Reichsstände anschlossen, wirkte sich für die Protestanten der Habsburger Erblande und Böhmens doppelt schlimm aus, da sie Krieg und Rekatholisierung gleichzeitig zu ertragen hatten. Andreas Gryphius (1616–1664) fasste diese Lage in den Schlusszeilen seines Gedichts "Thränen des Vaterlandes" (nämlich Schlesiens) zusammen, das er 1636 schrieb: "Doch schweig ich noch von dem/ was ärger als der Tod/ Was grimmer denn die Pest/ und Glutt und Hungersnoth/ Das auch der Seelen Schatz/ so vilen abgezwungen."53 Damit spielte er darauf an, dass viele Protestanten ihren Glauben verleugnen oder ihm abschwören mussten.
Krieg in allegorischer und metaphorischer Deutung
Eine besondere Möglichkeit, den Krieg ins Bild zu setzen, ergibt sich daraus, dass Bilder nicht nur Tatsachen, sondern auch Metaphern und Allegorien abbilden und damit geistige Inhalte darstellen können. Typische Medien dafür waren Münzen und Medaillen. Sie wurden von Goldschmieden oder Münzmeistern meist im Auftrag regierender Personen hergestellt.54 Die Stadt Stralsund ließ durch ihren Münzmeister Medaillen aus Anlass der überstandenen Belagerung durch Wallensteins Truppen 1628 prägen.55 Der Hofmedailleur des Kurfürsten von Sachsen,56 Sebastian Dadler (1586–1657), schuf eine Medaille auf die Schlacht von Breitenfeld bei Leipzig.57 Das Bild zeigte Allegorien der drei Tugenden Gerechtigkeit, Frömmigkeit und Standhaftigkeit unter der Hand Gottes in den Wolken 58 und sagte damit aus, der Sieg sei nicht nur von Gott verliehen, sondern auch durch die drei Tugenden errungen worden – angesichts der Flucht der sächsischen Truppen in der Schlacht59 ein Versuch, eine beschämende Tatsache durch ein triumphales Bild vergessen zu machen.
Sehr viele bildliche Darstellungen einzelner Kriegsereignisse verwendeten ebenfalls Metaphernbilder oder Allegorien, um bestimmte Deutungen nahezulegen. Bilder solcher Art werden oft als Karikaturen bezeichnet. Sie setzten aber Personen meist realistisch ins Bild. Verfremdet wurde ihre Handlungsweise oder die Umgebung, je nachdem, was das sprachliche Bild nahelegte. Das Wort "Pfaffengasse" zum Beispiel war eine spöttische Bezeichnung für die Gebiete der reichen Bistümer an Rhein und Main. Einige Flugblätter inszenierten Gustav Adolfs militärischen Triumph als Lauf des "Mitternächtische(n) Lewe(n)" durch die "Pfaffengasse".60 Auf einem anderen illustrierten Flugblatt wird Gustav Adolf als Augen-Operateur dargestellt, der dem Herzog von Bayern als Patienten den Star sticht, "Tille" (Tilly) hat die "Operation" gerade hinter sich, sitzt auf einer Bank am Rand der Bildfläche und hält sich das noch schmerzende Auge zu.61 Der Krieg erschien in solchen Bildern dann als zwar schmerzhafte, aber auch heilende "Operation" (die Metapher ist heute noch in der Kriegsdeutung beliebt). Das in vielen Flugblättern variierte Thema eines Schwierigkeiten machenden Konfekt-Essens62 geht auf einen Ausspruch des sächsischen Kurfürsten zurück, "daß sich Tilly noch am sächsischen Naschwerk, zu dem auch harte Nüsse zu gehören pflegten, die Zähne ausbeißen werde."63
Ein dankbares Sujet für Allegorien bot die Eroberung Magdeburgs durch Jean t'Serclaes de Tilly (1559–1632) 1631, weil der Name der Stadt hörbar aus den Worten "Magd" (unverheiratete Frau, Jungfrau) und "Burg" (Ort, Stadt) zusammengesetzt ist. Tilly, Feldherr der katholischen Liga, hatte eine "jungfräuliche Stadt erobert" – das Bild schien erotische Ausdeutungen zu verlangen, unterschiedlich je nach konfessionellem Standpunkt. Protestanten stellten das Gewaltsame der Eroberung heraus, bezeichneten also die Eroberung der Stadt als Vergewaltigung,64 Brechen des Widerstandes der Stadt, die ihre Jungfrauschaft verteidigt habe.65 Katholische Publikationen betonten mehr den rechtlichen Aspekt, dass der Kaiser als Reichsoberhaupt auch der rechtmäßige Herr der Stadt sei, und inszenierten die Verbindung Tillys mit Magdeburg als legitime Ehe.66 Metaphorische und allegorische Bilder eigneten sich in der Kriegspublizistik besonders dazu, einzelne Ereignisse zusammenfassend zu deuten, ohne dass eine rationale und argumentative Auseinandersetzung nötig gewesen wäre.
Schluss: Aus- und Nachwirkungen
Nicht vom Medium, sondern von Anlass und Aussageabsicht hing es ab, wie der Dreißigjährige Krieg und einzelne seiner Ereignisse in den Medien ihrer Zeit "ankamen", ob als Aneinanderreihung von Fakten, als Ereigniszusammenhang, als Problem, das durch Nachdenken oder Handeln gelöst werden sollte, oder in metaphorischer Verfremdung im sprachlichen oder gezeichneten Bild. Dabei konnten die Medien durchaus Zwänge ausüben, die die Berichterstattung beeinflussten. Der rasche Erscheinungsrhythmus der Zeitungen zog den dauernden Zwang nach sich, permanent Nachrichten zu liefern, was die "kleinen" Kriegsereignisse aufwertete. Das lange Herstellungsverfahren für die meisten bildlichen Darstellungen bedeutete, dass sie den Krieg und seine Ereignisse nicht "abbilden" konnten, sondern in verhältnismäßig großem Abstand von den Ereignissen nachträglich "ins Bild setzten", ob in Faktendarstellung oder Allegorie. Wahrscheinlich erschien der Krieg in den Medien insgesamt "statischer", als die Zeitgenossen ihn erlebten, weil ein Großteil der Berichterstattung aus Belagerungen oder Truppenaufstellungen bestand. Für die vom Krieg Betroffenen muss er eine unberechenbare Folge schnell wechselnder und schrecklicher Ereignisse gewesen sein. Wegen der langen Herstellungszeit von Medien ist nicht sicher, ob die Zeitgenossen aus den aktuellen Nachrichten tatsächlich persönliche Konsequenzen ziehen konnten – im Zweifelsfall dürfte das Gerücht schneller vorangekommen sein als die Zeitung. Aber der Auftrieb, den der Krieg dem Medienwesen insgesamt gab, zeigt das steigende Interesse an Nachrichten in dieser Zeit, nicht nur bei den Untertanen der am Krieg beteiligten Mächte, sondern auch in England. Wahrscheinlich trug die Verbreitung sowohl von Flugschriften als auch und besonders von periodischen Nachrichtenmedien dazu bei, dass Menschen in ganz Europa einander als "Zeitgenossen" wahrnahmen, die zwar nicht alle unter den gleichen Ereignissen litten, aber alle zu annähernd gleicher Zeit über dieselben Ereignisse informiert sein konnten – jedenfalls soweit es die Verkehrsverhältnisse zuließen. Allerdings gilt das, wenn überhaupt, nur für die Gebiete, in denen es bereits periodische Berichterstattung gab, wie in England, dem Reich, den Niederlanden und Frankreich. In Italien exisierten zwar geschriebene,67 aber noch keine gedruckten Zeitungen, so dass nur bestimmte interessierte Kreise unmittelbar Zugang zu den Nachrichten hatten. Man könnte vielleicht von einer Integration Europas mittels Nachrichtenkommunikation sprechen. Da aber die geschriebenen Zeitungen bis jetzt nur recht sporadisch untersucht sind, ist nicht zu bestimmen, wie weit diese Integration durch Nachrichtenkonsum gereicht haben mag.