Begriffe
Nachrichten sind Informationen, die durch ihren Neuigkeitswert und Adressatenbezug Bedeutung erhalten.1 Als spezifische Informationen werden Nachrichten auf vielfältige Weise – sprachlich (in mündlicher und schriftlicher Form), bildlich, gestisch oder zeichenhaft – weitergegeben und wahrgenommen.
National wird die Nachrichtenkommunikation, wenn ihre Reichweite eine größere Gruppe mit einem nationalen Bewusstsein umfasst. Da die Kategorien des Nationalen vor 1800 noch unscharf sind, gilt insbesondere ein sprachlicher bzw. territorialherrschaftlicher Bezug als national.2 Werden solche (national-)sprachlichen oder territorialpolitischen Grenzen überwunden, so spricht man von transnationaler Kommunikation, wobei transnational in Abgrenzung zu international bedeutet, dass die Kommunikation nicht nur grenzüberschreitend zwischen Staaten oder Institutionen abläuft, sondern auch zwischen Gruppen und Individuen sowie zwischen solchen Akteuren, die nicht eindeutig einem sprachlich oder territorialpolitisch definierten "Nationalen" zuzurechnen sind.3
Nachrichten und die Kommunikation darüber gehören zur menschlichen Soziabilität.4 Doch der Neuigkeitswert und der Adressatenbezug machen auch das Gerücht interessant, das sich tendenziell von der Nachricht durch seine anonyme Herkunft und fragwürdige Zuverlässigkeit unterscheidet. Allerdings sind die Grenzen fließend, denn ein Gerücht kann jederzeit zur Nachricht werden, zumal wenn sich dessen Inhalt als wahr erweist.5 Sofern eine Nachricht nicht nur wahrgenommen, sondern auch verstanden wird, entsteht ein Austausch, den man Nachrichtenkommunikation nennen kann.
Boten und Briefe: Mündliche und schriftliche Botschaften
Zu Beginn der Frühen Neuzeit wurden Informationen als Nachrichten von Mund zu Ohr im kleinen Kreis weitergegeben. Neuigkeiten sind in solchen Kontexten primär lokal und werden individuell vermittelt. Nachrichten aus der Ferne tauchen nur sporadisch und eher zufällig auf, wenn sie von weitgereisten Augenzeugen, Kaufleuten, Pilgern, Söldnern, Handwerkern, Studenten usw. mitgebracht wurden. Die klassischen Schauplätze der Nachrichtenübermittlung wie auch des Gesprächs über deren Inhalte waren der Hafen und der Marktplatz, das Wirtshaus und das Rathaus, die Kirche und die Börse, aber auch die Bauernküche und der Königshof. Während der Nachrichtenradius der Dorfschenke in der Regel bescheiden blieb, erstreckte sich jener einer Herberge an der Fernstraße schon deutlich weiter.
Nicht nur lokale, sondern auch internationale Neuigkeiten hörte man in Venedig auf der Piazza San Marco beim Dogenpalast oder an der Rialtobrücke,6 in London bei der St. Paul's Kathedrale, in Hamburg oder Antwerpen nahe der Börse oder der Post7 und in Rom, Paris, Prag oder Wien im Umfeld des Hofes.8 An diesen Treffpunkten fand sich ein, wer etwas zu berichten hatte oder etwas erfahren wollte. Seit dem Spätmittelalter bauten europäische Höfe und Städte, aber auch die Kirche, Kaufmannskompanien, Orden oder Universitäten Botensysteme auf, die zunächst nach Bedarf und seit dem 15. und 16. Jahrhundert auch regelmäßig ausgewählte Korrespondenzorte miteinander verbanden. Dadurch entstanden zeitlich und räumlich über weite geografische und kulturelle Distanzen transnational verbundene Orte, aber noch keine flächendeckenden Netze der Nachrichtenkommunikation.
Seit (spätestens) in der Mitte des 15. Jahrhunderts in Italien ständige diplomatische Vertretungen der Staaten untereinander eingerichtet wurden, war die Kommunikation der Regierungen mit ihren residierenden Gesandten auf stabile und leistungsfähige Botenkurse angewiesen.9 Bis zum Aufkommen des billigen Mediums Papier in der Mitte des 13. Jahrhunderts in Italien und Spanien hatten Boten die reinen Nachrichten meist nur mündlich übermittelt. Lediglich rechtsrelevante Inhalte wurden (auf Pergament) teuer verschriftet. Daher sind aus der Zeit vor 1300 nur wenige Nachrichtenbriefe überliefert, die sich durch eine für spätere Briefe atypische, primär darstellende, unpersönliche und nüchterne Diktion auszeichnen. Nicht schon die Schrift, sondern erst das preisgünstige Speichermedium Papier verdrängte zu einem gewissen Grad die mündliche Nachrichtenkommunikation.10
Die zunehmende Zirkulation ursprünglich vertraulicher diplomatischer Nachrichten durch die Weitergabe unter Freunden, Sekretären und Klienten wurde für die der Geheimhaltung verpflichtete Politik zum Problem. Daher entwickelten sich – nach Vorläufern an der römischen Kurie im frühen 14. Jahrhundert – seit der Mitte des 15. Jahrhunderts vor allem in Venedig codierte Geheimschriften,11 mit denen die Regierungen nicht nur die interne Kommunikation vor dem Zugriff fremder "Spione" schützen, sondern auch die undichten Stellen in den eigenen Reihen stopfen bzw. die vorhandenen Nachrichtenketten unterbrechen wollten, die über dynastische Verwandtschaft, Freundschaft, geschäftliche oder andere Beziehungen zwischen einzelnen Personen an den verschiedenen Höfen und politischen Zentren bestanden.12
Im europäischen Bereich galten lange die großen Kaufmannskompanien als erste Träger einer transnationalen Informationskultur.13 Ihre Briefe sollten aber nicht mit der allgemeinen Nachrichtenkorrespondenz als Ursprung der Zeitungsnachrichten verwechselt werden, was neuere Untersuchungen zu den sogenannten Fuggerzeitungen klar gemacht haben. Die Geschäftskorrespondenz der Fugger etwa vermittelte wirtschaftliche und betriebliche Inhalte, aber nur selten politische Informationen. Dagegen bezogen und sammelten die Fugger auch allgemeine Nachrichten, die getrennt von der Firmenkorrespondenz archiviert wurden und als Fuggerzeitungen bekannt sind.14 Überwiegend ging es darin um militärische und politische Ereignisse. Während die Verbreitung gedruckter Nachrichtenblätter die individuelle Nachrichtenkommunikation der Firmen häufig überflüssig machte, blieben Geschäftskorrespondenzen wie etwa jene der Société typographique de Neuchâtel, aufgrund derer der Schwarzhandel mit verbotenen Büchern rekonstruiert werden konnte, oder der großen Überseekompanien auch nach der Entstehung der gedruckten Zeitungen bestehen, gerade weil sie primär unternehmensinterne Zwecke erfüllten.15
Die Briefe der weit gespannten Korrespondenznetze der Humanisten oder auch der Reformierten, vor allem der zweiten Generation, enthielten zahlreiche allgemeine Nachrichten wie etwa in jenen rund 12.000 Briefen mit über 1.000 Partnern, die vom Nachfolger Ulrich Zwinglis (1484–1531) in Zürich, Heinrich Bullinger (1504–1575), überliefert sind – das sind mehr als alle Mitteilungen von Martin Luther (1483–1546), Johannes Calvin (1509–1564) und Zwingli zusammen.16 Die internationale Vernetzung des Calvinismus und die Verbreitung der reformatorischen Botschaft geschahen auf dem Briefpostweg. Auch die Gegenreformation hinterließ bedeutende Briefbestände wie jenen des Mailänder Kardinals Carlo Borromeo (1538–1584) mit rund 40.000 Briefen.17 Ähnliche Netzwerke unterhielten auch andere religiöse Kreise wie etwa die katholischen Orden (Benediktiner, Jesuiten) oder die europäischen Juden.18 Ebenso enthielten Gelehrtenkorrespondenzen oft nicht nur wissenschaftliche, sondern auch politische Nachrichten – wie nicht nur die Fuggerkorrespondenzen zeigen.19
Die Kommerzialisierung der Nachrichten: "Avvisi"
Die Nachrichtenkommunikation innerhalb dieser gelehrten, kaufmännischen und diplomatischen Bereiche war bis ins Spätmittelalter hinein punktuell, intern und zweckgebunden. Erst die sich ausbildende Gewohnheit, Nachrichtenpassagen aus solchen dienstlichen (oder auch freundschaftlichen bzw. familiären) Schreiben zu exzerpieren, um sie an weitere Adressaten zu verschicken, isolierte die einzelnen Nachrichten aus ihrem kommunikativen Entstehungszusammenhang und führte zu ihrer sprachlichen Formalisierung.
Da sich der direkte Bezug zwischen Sender und Empfänger auflöste, entfielen Anrede, Grußformel, Absender und persönliche Bezugnahmen zugunsten allgemeiner Informationen, die auch für unbekannte Leser an verschiedenen Orten interessant und verständlich sein konnten. Die Nachrichtenbriefe verzeichneten standardmäßig das Datum und den Ort der Nachrichtenkompilation (nicht des Geschehens), so dass diese Angaben als Hauptgliederungsprinzip fungierten. Innerhalb eines Kompilationsortes konnten wiederum Nachrichten aus mehreren anderen Herkunftsorten aneinandergereiht werden. Diese Form der faktenorientierten Nachrichtenbriefe wurde in Italien entwickelt und Avvisi genannt. Die einzelnen Nachrichten wurden dabei auf separate Zettel geschrieben, im Massendiktat vervielfältigt und nach den Bedürfnissen der Abonnenten individuell zusammengestellt.20 Daher ist es auch kaum möglich, sich einen Überblick über die in Europa zirkulierenden Avvisi zu verschaffen, denn jedes überlieferte Quellenkorpus ist anders zusammengesetzt – selbst wenn die Avvisi aus derselben Agentur bezogen worden sein sollten.21
Da solcherart gesammelte Informationen teuer waren, mussten sich die – oft verdeckt arbeitenden – Kompilatoren der Avvisi gegen unerwünschtes Kopieren schützen. Die eigenen Schreiber galt es dabei ebenso im Auge zu behalten wie jene Abonnenten, die sich die Avvisi nicht nur zu ihrer eigenen Information bestellten, sondern auch um sie abzuschreiben und weiterzuverkaufen.22
Die Nachrichtenzettel legte man, was dank des billigeren Papiers möglich geworden war, nicht nur diplomatischen, sondern auch kaufmännischen oder gelehrten Korrespondenzen bei. Um 1530 fingen italienische Nachrichtenhändler an, die Nachrichtenflüsse aus den verschiedenen Kreisläufen zusammenzuführen und gegen die Bezahlung einer Gebühr regelmäßig weiter zu verschicken. Diese Avvisi wurden als Outsourcing23 des diplomatischen Nachrichtenverkehrs bezeichnet, integrierten aber – und das macht sie für breitere Empfängerkreise interessant – auch Nachrichten aus anderen, z.B. kaufmännischen, gelehrten, kirchlichen oder privaten Quellen. Wer Beziehungen zu Avvisischreibern oder Nachrichtenhändlern hatte, konnte sich gegen Bezahlung wöchentlich Neuigkeiten zu für ihn interessanten Themen zuschicken lassen.
Die Avvisi markieren den Übergang zur Kommerzialisierung des Nachrichtenverkehrs. Sie zirkulierten seit den 1550er Jahren auch unter den Fürsten und städtischen Eliten des Alten Reichs und seit den 1570er Jahren in weiten Teilen Europas.24 Bei diesem wohl dank der Vermittlung der Fugger25 erfolgten Kulturtransfer der italienischen Avvisi in deutsche Zeitungen änderte sich deren Funktion deutlich. Zwar blieben die Inhalte auch in deutscher Übersetzung abgesehen von redaktionellen Kürzungen und Veränderungen gleich, doch ihre Position in der kommunikativen Gesamtsituation war eine völlig andere. Denn die Avvisi stellten für die italienischen Höfe nur eine zusätzliche Informationsquelle neben den diplomatischen Berichten dar,26 für die deutschen Fürsten jedoch substituierten sie die nicht vorhandene, regelmäßige diplomatische Berichterstattung.27
Inhaltlich dominierten politische und militärische Nachrichten deutlich, wohingegen Wirtschaftliches und Kulturelles sowie die sensationellen Wundermeldungen recht marginal blieben. Fast die Hälfte der Nachrichten wurde im 16. und frühen 17. Jahrhundert in Venedig und Rom kompiliert, wobei über Venedig die Neuigkeiten aus dem östlichen Mittelmeer, dem Osmanischen Reich, dem nahen und fernen Osten, ja sogar aus Spanien und Portugal (via Lyon) eintrafen, über Rom aber jene aus dem Kirchenstaat, Süditalien und Nordafrika. Dazu kamen Prag und Wien als kaiserlich-habsburgische Zentren sowie, neben Lyon, insbesondere Antwerpen. Merkwürdig unterrepräsentiert sind dagegen die iberische Halbinsel, weite Teile Frankreichs und vor allem England und Nordosteuropa.28
Die regelmäßige Verbreitung der Nachrichten basierte hauptsächlich auf der Infrastruktur der Post, die im Reich, in Frankreich und in England seit dem späten 15. Jahrhundert im Entstehen begriffen war. Dieses teure und vorerst exklusiv für die Betreiber zugängliche Transportsystem reduzierte mittels Stafetten, festen Stationen (Posten) und Pferdewechseln die Verkehrszeiten massiv und bedeutete so eine logistische Meisterleistung mit vergleichsweise geringem Technikeinsatz.29 Die entscheidende Neuerung der Post, die seit 1597 im Reich als kaiserliches Lehen von der Familie Thurn und Taxis aufgebaut wurde, bestand in der 1516 erfolgten Öffnung ihrer Dienste für die Allgemeinheit gegen eine Gebühr. Damit konnten auch transnationale Verbindungen dauerhaft finanziert werden.30 Ältere Botenlinien und konkurrierende Postunternehmen verbanden ihre Linien bis 1700 kontinuierlich zu einem europäischen, für alle nutzbaren Netz.31 Skandinavien fand den Anschluss an das Postliniennetz um 1620 über Hamburg,32 während sich die Entwicklung in Osteuropa jenseits des Reichs verzögerte.33
Es waren die wöchentlichen Ordinari-Posten, welche den Staaten und Nationen übergreifenden periodischen Nachrichtenfluss, mitunter die "news revolution",34 ermöglichten. Gelehrte vertrauten ihre Korrespondenzen ebenso der Post an wie katholische Orden, reformierte Netzwerke, Kaufmannsgesellschaften oder Familien. Selbst die diplomatische Routinekorrespondenz lief teilweise über die Post, wenngleich hier die Kuriere und Extraboten weiterhin eine wichtige Rolle spielten. Dabei nutzten und förderten die Postverbindungen das vorhandene Netz von Wegen und Straßen, das für den Übergang vom Fuß- zum Reiterboten oder gar zur Postkutsche massiv ausgebaut werden musste.35
Gedruckte Nachrichten
Die Einführung des Buchdrucks in den 1450er Jahren veränderte die tagesaktuelle Nachrichtenkommunikation nicht sofort. Denn gedruckt wurden vorerst jene Texte, von denen man lange Gebrauch machen konnte: die Bibel, Werke der KirchenväNaturkatastrophen oder andere Sensationen gelangten in der Form von oft illustrierten Einblattdrucken (Flugblättern) oder kleinen Broschüren von wenigen Seiten Umfang als sogenannte "Neue Zeitungen" auf den Markt. "Zeitung", "Tijding", "nouvelle", "notizia", "nova" bedeutete dabei wortwörtlich "Nachricht" oder "Neuigkeit". Ihr Erscheinen war so unvorhersehbar wie die Ereignisse selbst.
Über hundert Jahre nach Johannes Gutenberg (ca. 1400–1468) wurden – abgesehen vom Kalender – in den Messrelationen erstmals seit 1583 (vereinzelt bis 1806) zuverlässig periodisch Nachrichten gedruckt. Allerdings erschien diese (wie es scheint, spezifisch deutsche) Textsorte nur jährlich bzw. bald halbjährlich zu den wichtigsten Messen in Köln, Frankfurt am Main, Leipzig und einigen weiteren Städten und bot eher eine chronologisch-geografisch geordnete Zeitgeschichte der letzten Monate als die aktuellsten Neuigkeiten.36
Als vergleichbare Produkte gelten die englischen Newsbooks aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, die französischen Serienchroniken oder der schwedische Hermes Gothicus (Stockholm 1624).37 Doch die seit 1641 gedruckten, spezifisch britischen Newsbooks boten auf wenigen Seiten eine aktuelle, wöchentliche Zusammenfassung der – und das war neu – innenpolitischen Ereignisse aus oft parteiischer Perspektive, wodurch sie sich stark von den neutral-distanzierten Messrelationen im Buchformat unterschieden.38 Die in Deutschland, Frankreich und anderswo gedruckten Serienchroniken publizierten zwar Zeitgeschichte der letzten Jahre, dies geschah aber im Unterschied zu den Messrelationen in unregelmäßigen Abständen.39
Zwar kontinuierlich, aber in unregelmäßigen Abständen wurden seit den 1560er Jahren auch fortlaufend nummerierte Serienzeitungen hergestellt, die versuchten, das Käuferinteresse an "Neuen Zeitungen" durch Fortsetzungen an sich zu binden. Sie waren aber monothematisch fokussiert, z.B. auf die Türkenkriege, die französischen Religionskriege, den Aufstand der Niederlande und dergleichen, weshalb sie selten mehr als 10 Folgen erreichten.40
Als Frühform der europäischen Presse gelten auch die seit dem 14. Jahrhundert von Italien über London bis Damaskus in Kaufmannskorrespondenzen enthaltenen handschriftlichen Preislisten und Wechselkurse. Sie wurden seit dem 16. Jahrhundert (Antwerpen 1540, Venedig 1585) wöchentlich in italienischer Sprache als listini dei prezzi gedruckt und differenzierten sich im 17. Jahrhundert aus in separate Publikationen für entsprechende Güter und Preise.41 Geografische und nautische Nachrichten wiederum wurden in Form von Karten seit dem späten 15. Jahrhundert als Holzschnitt oder Kupferstich gedruckt. Auf diese Weise wurden ehedem als Geheimnisse streng gehütete kartografische Informationen zum europäischen Gemeingut.42
Periodisch gedruckte Nachrichten: Die "moderne" Zeitung
Angesichts des Nachrichtenbedarfs und der bestehenden infrastrukturellen Voraussetzungen der Postnetze und des Handels mit geschriebenen Nachrichten erfolgte die Gründung der ersten periodisch gedruckten, wöchentlich erscheinenden modernen Zeitung erstaunlich spät. Der Straßburger Drucker Johann Carolus (1575–1634) beantragte 1605 das Privileg, seine zuvor handschriftlich verbreiteten Nachrichten in den Druck zu befördern. Seine Bitte um Schutz vor Nachdruck wurde zwar abgelehnt, aber indem er Sprache, Auswahl und Präsentation der primär politisch-diplomatisch-militärischen Nachrichten von den geschriebenen Nachrichten im Druck übernahm, schuf er das Genre, dem die Zukunft gehören sollte.43 Dass die erste Zeitung nicht in einem der bedeutenden Nachrichtenzentren entstand, verhinderten die aus diplomatischen Rücksichten strenge Zensur dieser Städte (Venedig44), die konkurrierenden Interessen jener Händler und Beamten, die von geschriebenen Nachrichten lebten (Augsburg, Danzig, Köln, Nürnberg, Rom) oder die Unregelmäßigkeit des Schiffsverkehrs (Antwerpen, London), die zwar eine serielle, aber nicht eine periodische Publikation von Neuigkeiten begünstigte.45
Im vergleichsweise peripher gelegenen Straßburg, das an die nicht weit entfernt verlaufende Taxis'sche Postlinie angeschlossen worden war, erlaubte der städtische Rat dagegen dem humanistisch gebildeten Carolus, seine geschriebene Zeitung zu drucken. Die Straßburger Relation, wie er sie im Jahrestitel nannte, fand erst nach einigen Jahren Nachahmer (Wolfenbüttel 1609; Basel 1610).46 Im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges stieg dann die Zahl der Zeitungsgründungen – oft handelte es sich um Drucklegungen vordem handgeschriebener Zeitungen.47
Das neue Genre verbreitete sich mit charakteristischen Verzögerungen über ganz Europa: Die ersten nicht-deutschsprachigen Zeitungen erschienen in Amsterdam (niederländisch 1618; französisch und englisch 1620; jiddisch 1686),48 Valencia (spanisch 1619),49 Antwerpen (niederländisch und französisch 1620), London (englisch 1621), Kopenhagen (deutsch / dänisch 1634; dänisch 1672),50 eventuell Florenz 1636 oder Mailand 1637, sicher aber in Genua (italienisch 1639),51 Lissabon (portugiesisch 1641), Barcelona (katalanisch 1641),52 Krakau / Warschau (polnisch 1661),53 St. Petersburg (russisch 1703),54 Prag (tschechisch 1719), Oslo (norwegisch 1763), Åbo / Turku (finnisch 1776), Preßburg [Bratislava] (ungarisch 1780, slowakisch 1783), Wien (serbisch 1791–1794), Ljubljana (slowenisch 1797).55
Das von Carolus verwendete Format mit vier (später acht) Quartseiten fand von Spanien bis Polen und von Schweden bis Italien Verwendung. Einzig die (frühen) Amsterdamer und Londoner Zeitungen bevorzugten das zweiseitig bedruckte Folioformat. Die Zeitungen aus Antwerpen fielen zudem durch die relativ häufigen Abbildungen und damit durch ihre Nähe zum illustrierten Flugblatt etwas aus dem Rahmen.56 Erschienen anfangs die Zeitungen einmal in der Woche, so steigerte sich der Erscheinungsrhythmus dort auf zwei oder mehrere Male pro Woche, wo entsprechende Postkurse sich kreuzten. Die ersten Tageszeitungen erschienen 1650 in Leipzig, 1702 in London, 1758 in Madrid, 1765 in Venedig, 1769 in Stockholm und 1777 in Paris.57
Den nüchternen, auf Fakten konzentrierten und weitgehend kommentarlosen Stil der Avvisi machten die gedruckten Zeitungen nun nicht nur einem viel größeren Publikum bekannt. Vielmehr verschickten Diplomaten auch regelmäßig gedruckte Zeitungen als Beilage zu ihren Berichten,58 das russische Außenministerium beispielsweise ließ deutsche und niederländische Zeitungen systematisch für den internen Gebrauch übersetzen.59
Bis um 1700 wurden 60 bis 80 deutschsprachige Zeitungen mit einer geschätzten durchschnittlichen Auflage von knapp 400 Exemplaren gegründet,60 davon 18 in der Schweiz.61 In den Niederlanden sind rund 20,62 in Italien rund 25 Unternehmen63 bekannt. Damit sind die polyzentrisch organisierten politischen Räume Europas bezeichnet. In den zentralistisch verfassten Königreichen dagegen war die Presselandschaft geprägt durch das Modell der königlich privilegierten Monopolzeitung, die in ihrem spezifischen Bereich theoretisch keine Konkurrenz zu befürchten hatte. So gab es um 1700 je nur eine einzige Zeitung in Frankreich (Gazette, Paris seit 1631),64 in Spanien (La Gazeta nueva / Gazeta de Madrid, seit 1661) und in Schweden (Ordinarie Post Tijdender, Stockholm seit 1645). In Portugal wiederum waren interessierte Leser nach dem Ende der Gazeta de Lisboa (1641–1647) bis 1715 auf ausländische Titel angewiesen.65 Nur wenige Zeitungen mit oft kurzer Lebensdauer erschienen vor 1700 in Polen auf Polnisch, Deutsch und Italienisch (Warschau und Krakau),66 etwa ein halbes Dutzend in Kopenhagen auf Dänisch, Deutsch und Französisch.67
Sehr diskontinuierlich gestaltete sich die Geschichte der Zeitung in England. Nach den frühen Corantos der 1620er Jahre und der Ära der weitgehenden Pressefreiheit des Bürgerkrieges und der Republik (1641–1660) folgte die Einführung der Vorzensur 1662, die in der Restauration zum faktischen Monopol (1665–1679) der London Gazette führte.68
Im 18. Jahrhundert nahmen sowohl die Zahl der Neugründungen als auch die Existenzdauer der Zeitungen zu. Neben die Länder mit traditionell vielfältigen Presselandschaften wie die Niederlande oder Italien mit um die 80 bzw. 90 Neugründungen69 sowie das Reich und die Schweiz, auf deren Territorium am Ende des 18. Jahrhunderts rund 200 bis 250 bzw. knapp 40 Zeitungen gleichzeitig existierten,70 trat nun insbesondere England. Dort war seit dem Wegfall der Zensur 1695 ein wahrer Boom auszumachen, der nicht nur die traditionelle Zeitungsmetropole London (mit etwa 20 Zeitungen, davon 14 täglich erscheinenden im Jahre 1790), sondern nun auch die Provinz erfasste, in der im 18. Jahrhundert rund 70 Zeitungen entstanden. Zudem entwickelten sich die englische Presse nach Typ, Inhalt und Form sehr vielfältig.71
Auch in Ländern wie Dänemark, Schweden und Polen diversifizierte sich die Presselandschaft. Im zu Dänemark gehörenden Norwegen dagegen wussten die Kopenhagener Zeitungen mit Hinweis auf ihre Monopole (für dänische, deutsche oder französische Nachrichten) die Gründung norwegischer Blätter bis in die 1760er Jahre zu verhindern.72 In Frankreich wurde das Monopol der Gazette seit den 1770er Jahren aufgeweicht.73
Sprachen und Inhalte
Während viele gelehrte Zeitschriften noch im 18. Jahrhundert das Lateinische verwendeten, waren lateinische Zeitungen eine seltene Ausnahme.74 Eine Vielzahl sich räumlich und sprachlich überlappender Zeitungsunternehmen ermöglichte dank vieler Übersetzungsleistungen die transnationale Nachrichtenkommunikation in – relativ einfachen Varianten der – Nationalsprachen.75 Die deutschsprachigen Zeitungen waren dabei nicht nur die ersten und zahlreichsten, sie wurden auch oft außerhalb des deutschsprachigen Raumes in Nord- und Osteuropa produziert;76 in Dänemark, dem heutigen Tschechien, Ungarn und der Slowakei sogar vor den ersten nationalsprachigen Zeitungen.77
Von den frankophonen Zeitungen des Typs "Gazette" erschien vor 1789 die Mehrzahl außerhalb Frankreichs,78 in Frankreich selbst wurden bis 1789 nur 14 "Gazettes" produziert.79 Schwedische Zeitungen wiederum erschienen auch in Finnland, polnische auch in Litauen (Wilna / Vilnius 1760–1793) und in der Ukraine (Lemberg 1783–1786). Italienischsprachige Blätter gab es außerhalb Italiens auch in Warschau im Jahre 1661, in Amsterdam in den 1680er Jahren, in Wien bis 1742, in Görz 1774–1776, in Nürnberg 1753, in Weimar 1787–1789, in Lugano (Schweiz) 1746–1799, in Korsika 1764–1790 und in Monaco 1793.80
Führend in der Herstellung von Zeitungen in verschiedenen Sprachen waren jedoch die Niederlande. Die noch nicht periodischen Nieuwe Tijdinghen von Abraham Verhoeven (1575–1652) waren je nach Ausgabe in niederländischer, französischer oder lateinischer Sprache verfasst.81 Seit 1620 erschienen in den spanischen Niederlanden – Antwerpen – und in den Vereinigten Provinzen – Amsterdam – neben den niederländischen auch Zeitungen in französischer und in Amsterdam zudem auch in englischer Sprache. In London entstanden dagegen die ersten englischen Zeitungen erst 1621, in Paris die ersten französischen erst 1631. Ebenfalls in Amsterdam wurden um 1680 Zeitungen in spanischer, italienischer und jiddischer Sprache publiziert.82 Auch außerhalb der Niederlande profilierten sich allerdings Zeitungsstädte mit Produkten in mehreren Sprachen. Sowohl deutsch- als auch französischsprachige Zeitungen wurden etwa gedruckt in Altona, Berlin, Bern, Frankfurt, Hamburg, Köln, Kopenhagen, Warschau oder Wien.
Anzeigen und Werbung tauchten seit 1622 ab und zu in deutschsprachigen Zeitungen auf und behielten diesen bescheidenen Platz, bis im 18. Jahrhundert die sogenannten Intelligenzblätter eingeführt wurden. Diese Frag- und Anzeigungsnachrichten (Frankfurt am Main seit 1722) dienten als lokale Tausch- und Arbeitsmarktbörsen, als Publikationsplattform der Obrigkeit und teilweise auch als Ort der Volksaufklärung.83 Dieser neue Zeitungstypus wurde ab 1745 in Frankreich unter dem Titel Feuille d'annonces übernommen.84 Etwa gleichzeitig entstand in London das erste täglich erscheinende Annoncenblatt (The Daily Advertiser), nachdem bereits seit 1657 hauptsächlich den Anzeigen gewidmete Blätter bekannt waren.85
Die thematische Struktur der Nachrichten war jedoch nicht ganz so umfassend, wie die moderne Definition der Zeitung suggeriert. Denn in der Frühen Neuzeit bestand die durch Zeitungen vermittelte Medienrealität primär aus Krieg und Diplomatie, wenn auch mit abnehmender Tendenz: 1626 galten diesem Thema noch 90 Prozent der Nachrichten, 1674 78 Prozent und 1796 77 Prozent. Seit dem späten 17. Jahrhundert erhielten gesellschaftliche Themen etwas mehr Gewicht (1674: zwölf Prozent, 1736: 24 Prozent, 1796: 13 Prozent), während die übrigen Bereiche (Wirtschaft, Recht, Kultur, Religion und Sensation) mit Werten von meist ein bis vier Prozent marginal blieben.86 In der Tendenz ähnliche Werte ergaben auch Studien zu französischen, englischen und deutschen Zeitungen des 17. Jahrhunderts.87
Zeitungsnachrichten waren zu rund 90 Prozent Berichte über tatsächliches Geschehen, selten aber Meinungsäußerungen, Absichtserklärungen oder Vermutungen; sie waren zu 70 Prozent sachbezogen und nur zu 30 Prozent personalisiert. Aufgrund der – im deutschen Sprachraum vorwiegend lokal-regional wirkenden – Zensur widmeten sich die Zeitungen des 18. Jahrhunderts zu 70 Prozent der Auslandsberichterstattung, zu knapp 30 Prozent den Nachrichten aus dem Reich und noch fast gar nicht dem Lokalgeschehen.88
Eine Bevorzugung der Auslandsnachrichten ist bei fast allen Zeitungen des 17., aber auch noch im 18. Jahrhundert zu beobachten.89 Eine gewisse Ausnahme davon machen vor allem die stark kontrollierten Monopolzeitungen. Doch war ihre Heimberichterstattung nicht kritisch. Vielmehr fungierten sie als Sprachrohr ihres Hofes – der Prototyp dieses Genres, die Gazette aus Paris, widmete beispielsweise rund 21,5 Prozent ihres Inhalts Frankreich.90
Die europäische Nachrichtengeographie zeigt ungeachtet aller nationalen und zeitspezifischen Variationen typische Züge und Entwicklungen.91 Die Nachrichtenkommunikation spielte sich im 17. und 18. Jahrhundert primär zwischen dem Reich, Italien und Frankreich sowie zunehmend auch England ab, während Iberien, Skandinavien und Osteuropa merklich weniger beitrugen. Wie schon bei den handgeschriebenen, so ist im frühen 17. Jahrhundert Italien auch bei den gedruckten Zeitungen die Region, die am meisten Nachrichten liefert. Die besten Informationen über das Osmanische Reich und den Nahen Osten stammten aus Venedig; Hamburg berichtete über Skandinavien und Russland; Amsterdam und London deckten England und die Überseegebiete ab. Andere Nachrichtenquellen waren die politischen Zentren Europas wie Rom, Wien, Paris und London.
Vom 17. zum 18. Jahrhundert verschob sich der Schwerpunkt der Berichtsorte und der Ereignisregionen von Süden nach Norden, wobei sich die Zahl der Nachrichtenorte erhöhte und das relative Gewicht der wichtigsten Nachrichtenorte sank. Insbesondere fällt auf, dass das schon im 17. Jahrhundert eher periphere Spanien immer weniger in den Zeitungen präsent war, während vor allem England an Bedeutung gewann.92 Hier scheint im späten 17. Jahrhundert auch erstmals Sport ein Thema der Zeitungen geworden zu sein, allerdings meist in Anzeigen und seltener in Berichten.93 Dagegen erschienen sogenannte "gelehrte Artikel" als Mittel der Popularisierung von Wissen vor allem im 18. Jahrhundert in den Zeitungen vieler Länder.94
Um die von den Zeitungen verbreiteten Nachrichten einordnen und interpretieren zu können, entstanden seit dem späten 17. Jahrhundert verschiedene neue Pressegattungen. Für den eiligen oder weniger erfahrenen Zeitungsleser erschienen Zeitungsextrakte, eine Art wöchentliche oder monatliche Zusammenfassung der Ereignisse, oder seit 1702 sogenannte "Zeitungs-Lexika", welche geografische und genealogische Kontextinformationen in alphabetischer Ordnung boten – Vorläufer des Konversationslexikons.95
Das Bedürfnis nach Erklärung und Kommentar erfüllten seit 1665 die Zeitschriften. Diese in der Regel monatlich erscheinenden Periodika im Buchformat enthielten längere Artikel in gehobener Sprache über spezifische Gegenstände. Im Laufe des 18. Jahrhunderts differenzierten sich die Zeitschriften in gelehrte (wissenschaftliche), gesellschaftliche (unterhaltende) und politische (die aktuellen Ereignisse kommentierende) Titel – allein in Deutschland existierten weit über 6.000.96 Sie ordneten die vielen Einzelnachrichten in Zusammenhänge ein und boten kritische Rezensionen von Büchern, die der Leser vielleicht nicht selber erwerben konnte.
Geschriebene und gedruckte Zeitungen
Die gedruckten Zeitungen konnten trotz ihres unaufhaltsamen Aufstiegs die handgeschriebenen, auf bestimmte Leserkreise zugeschnittenen Avvisi nicht völlig aus der transnationalen Nachrichtenkommunikation verdrängen. Nicht nur in Ländern mit repressiven Presseregimen wie Spanien, Frankreich, Österreich oder Schweden war es interessanter, die geschriebenen Zeitungen zu lesen, da diese auch kritische Äußerungen zur Innenpolitik bzw. über den König enthalten konnten.97 Die spanischen geschriebenen Zeitungen pflegten beispielsweise einen frechen und satirischen Stil, während die Wiener relativ herrschaftskonform, aber schneller und lokaler informierten.98
Der Brüsseler Arzt Adrien Foppens produzierte einerseits eine gedruckte, vorzensierte Monopolzeitung (Relations véritables / Gazette de Bruxelles 1649–1791), da seine regierungsnahe Stellung ihm neben einer Rente Zugang zu den Informationen der Kanzleien verschaffte. Andererseits vertrieb er heimlich eine geschriebene Zeitung mit wesentlich verfänglicheren Inhalten, für die er Pensionen aus England, Rom und dem Reich empfing.99 Der Frankfurter Reichspostmeister Johann von den Birghden (1582–1645) bediente in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ebenfalls beide Kundensegmente,100 und die französischen Redakteure in Paris pflegten zwischen 1695 und 1774 parallel zur gedruckten Gazette auch geschriebene gazetins zu vertreiben. Die Herausgeber der französischsprachigen Blätter in Köln, Wesel oder Frankfurt folgten diesem Beispiel.101
Selbst in England verkauften sich die geschriebenen spätestens seit den 1590er Jahren vom Kontinent bezogenen Avvisi bei einer zwar kleiner werdenden, aber zahlungskräftigen Kundschaft.102 Noch im 18. Jahrhundert dienten die nouvelles à la main aus Frankreich exklusiven Kunden oder gedruckten Londoner Zeitungen als Informationsquelle.103 Auch in Spanien104 oder Ostmitteleuropa, wo erst spät eigene gedruckte Zeitungen entstanden, hielten sich geschriebene Zeitungen neben den aus Frankreich oder Deutschland importierten gedruckten Zeitungen bis tief ins 18. Jahrhundert.105 In Paris existierte gar ein handgeschriebenes, als Kupferstich gedrucktes Nachrichtenblatt (nouvelles burinées).106 Umgekehrt lässt sich auch beobachten, dass die geschriebenen Nachrichtendienste ihren Stoff oft lediglich den gedruckten Zeitungen entnahmen.107 Insgesamt dürften die geschriebenen Zeitungen ihren Zenit aber je nach Region im frühen bis späten 17. Jahrhundert überschritten haben und im 18. Jahrhundert weitgehend verdrängt worden sein.108
Transnationale Nachrichtenkommunikation: Übersetzen
Von transnationaler Kommunikation zu sprechen erscheint naheliegend, denn der Inhalt der zwischen 1400 und 1800 über größere Distanzen zirkulierenden Nachrichten bezog sich weitgehend auf den europäischen Raum. Die klassische Form des Nachrichtenbriefes (Avviso), der auch die frühmoderne Zeitung prägte, wurde in alle europäischen Nachrichtenkulturen aufgenommen. Der gemeinsame christliche und kulturelle Rahmen in Abgrenzung etwa zum Osmanischen Reich und das europäische Staatensystem boten trotz und zum Teil auch wegen der zahlreichen zwischenstaatlichen Konflikte einen gemeinsamen, durch die transnationale Nachrichtenkommunikation medial vermittelten Erfahrungsraum,109 was sich an verschiedenen Indizien ablesen lässt. In vielen Ländern spiegelte sich die europäische Dimension des Nachrichtentransfers darin, dass die Namen wichtiger Presseorgane oft den Bestandteil "europäisch" oder "Europa" enthielten.110
Die Vermittlung von Nachrichten aus dem europäischen Raum erforderte einen großen sprachlichen und zum Teil auch kulturellen Übersetzungsaufwand. Auffallend sind die vielen transnationalen Grenzgänger, die Neuigkeiten über die Sprachschwellen trugen oder Informationskulturen einführten und verbreiteten. So waren die führenden europäischen Nachrichtenzentren immer auch polyglotte, multikulturelle Großstädte: Venedig und Rom im 15. und 16., dazu Amsterdam im 17. oder London im 18. Jahrhundert.111 Während die Fugger die italienischen Avvisi in den deutschen Sprachraum überführten, fungierten Niederländer wie Nicolaas de Stopp (gest. 1568) als frühe Nachrichtenschreiber in Venedig112 oder französische Hugenotten als Begründer und Mitarbeiter von Presseorganen in den Niederlanden, England, Deutschland oder der Schweiz.113 Auch italienische Journalisten in der Schweiz,114 Wien oder Polen und deutsche Drucker, Verleger und Herausgeber in Skandinavien und Osteuropa beförderten den Austausch.115
Erfolgreiche Produkte wie etwa die holländische Zeitschrift Mercure Historique et Politique (Den Haag 1686–1782) wurden in Brüssel, Genf, Lüttich und einer deutschen Stadt nachgedruckt116 und von Schweden bis Spanien sowie von Deutschland über die Schweiz bis Italien vielfach übersetzt bzw. nachgeahmt.117 Die Gazette d'Amsterdam wurde nachgedruckt in Avignon, Bordeaux, Genf, La Rochelle und London,118 die Gazette de Leyde in Wien und in italienischer Übersetzung in Neapel.119 Die Gazette de France erschien nicht nur als Lizenzausgabe in 38 französischen Städten, sondern wurde auch für kurze Zeit ins Katalanische und Portugiesische übersetzt.120 Deutschsprachige Zeitungen aus Hamburg, Schaffhausen oder Wien erschienen in italienischer Übertragung in Mailand.121
Überhaupt kopierten oder übersetzten viele Zeitungen ihre Neuigkeiten aus anderen Zeitungen,122 deren Zuverlässigkeit durch entsprechende Beglaubigungsstrategien belegt werden musste, um sie damit vom bloßen Gerücht zu unterscheiden. Neben der Nennung von Ort und Datum der Niederschrift oder – im 18. Jahrhundert zunehmend – der Quelle der Nachricht konnte eine zeitungssprachentypische Formel wie etwa "Aus X. verlautet, dass …"123 die Zeitungsmacher von der Verantwortung für eine unsichere Information entlasten.124 Wie die sprachliche Standardisierung war auch die periodische Erscheinungsweise des Nachrichtenorgans an sich eine vertrauensbildende Maßnahme gegenüber skeptischen Lesern, zumal die Zeitungen selbst Meldungen als unsicher kennzeichneten oder schon gedruckte Nachrichten bei Bedarf in den folgenden Ausgaben der Zeitung korrigierten oder bestätigten, auch wenn dadurch eine gewisse Redundanz entstand.125 Dies führte dazu, dass die gedruckten Zeitungen zunehmend mit mündlichen, persönlich vermittelten Nachrichten in der zeitgenössischen Vertrauensskala konkurrieren konnten.126
Die Grundmodelle der periodischen Nachrichtenpresse – Zeitung, Zeitschrift, Intelligenzblatt – waren ebenso auf dem ganzen Kontinent verbreitet wie das gedruckte Flugblatt, die Flugschrift oder das Plakat. Die darin ausgebildeten Textsorten für die Vermittlung von Neuigkeiten waren Teil eines europaweiten Nachrichtensystems, das auf der billigen Verfügbarkeit von Papier, den diplomatischen, gelehrten, kaufmännischen und kommerziellen Korrespondenznetzen sowie dem Buchdruck mit beweglichen Lettern beruhte und dank des Ausbaus der nationalen und transnationalen Postverbindungen und Straßennetze einen zunehmenden und periodischen Nachschub von aktuellen Nachrichten in sprachnationalen Varianten produzierte.127 Dabei entstanden miteinander mehr oder weniger eng verflochtene und auf einander bezogene nationale Öffentlichkeiten, nicht unbedingt aber schon eine transnationale "europäische Öffentlichkeit".128