Begriff
Verflechtung zwischen regionalen bzw. nationalen Volkswirtschaften ergibt sich erstens aus grenzüberschreitendem Handel mit Produkten und Dienstleistungen sowie grenzüberschreitenden Bewegungen von Kapital, Arbeitskräften und technologischem Wissen. Nehmen z. B. grenzüberschreitender Handel oder Kapitalflüsse in Relation zum Volkseinkommen zu, so kann von einem Vorgang der wirtschaftlichen Globalisierung gesprochen werden. Zweitens wird Globalisierung oft auch als Marktintegration verstanden. Ein Vorgang der Marktintegration findet statt, wenn sich die Preise zwischen verschiedenen räumlich getrennten Märkten für dasselbe Gut, das heißt z. B. Produkte, Arbeit oder Kapital, über die Zeit hinweg einander angleichen (Preiskonvergenz) oder sich zunehmend ähnlich entwickeln. Drittens beinhaltet Globalisierung die Entstehung von Institutionen, die den grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Austausch regeln. In neuerer Zeit sind dies etwa Währungs- und Zollregimes. Viertens bezieht sich Globalisierung in einer gesellschaftlichen Perspektive auf grenzüberschreitende Interaktion sowohl politischer als auch sozialer Natur. Dies kann sich z. B. auf Varianten des Kolonialismus, des Imperialismus oder der Mitwirkung in internationalen Organisationen beziehen, auf eine Zunahme der internationalen Vernetzung der Zivilgesellschaft und damit verbundenen Handlungsorientierungen sowie auf eine zunehmend den regionalen und nationalen Rahmen überschreitende Prägung von Konsumstilen. Der gegenwärtige Text konzentriert sich auf die ersten drei Elemente von Globalisierung.
Phasen der Globalisierungsgeschichte im Überblick
Schematisch lässt sich Globalisierungsgeschichte in drei Phasen einteilen. In der ersten Phase, die bis zum Mittelalter dauerte, gab es auf der zusammenhängenden Landmasse Asiens, Afrikas und Europas bereits ausgedehnte Fernhandelsbeziehungen, die Kulturkreise und Weltreiche überschritten. Kaufleute in der Diaspora waren Hauptträger dieser wirtschaftlichen Kontakte über weite Distanzen, wobei an der Vermittlung eines Guts – z. B. von Gewürzen von Indien nach Europa – oft mehrere Händlergruppen in Folge beteiligt waren; es gab somit keine kohärente Handelsinfrastruktur. Zumindest wurde aber der innerasiatische Karawanenhandel im 13./14. Jahrhundert durch die Pax Mongolica, also die zeitweilige politische Integration im riesigen Reich Dschingis Khans (1162–1227)[] und seiner Nachfolger, begünstigt.1
In der zweiten Phase entsteht eine europäische Weltwirtschaft mit der venezianischen Dominanz des Levantehandels im Gefolge des Chioggia-Krieges zwischen Genua und Venedig (1378–1381) bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts.2 Mindestens bis ins späte 17. Jahrhundert wurden vorwiegend innereuropäisch und über die anliegenden Seehandelsrouten, das heißt durch den Levante-, den Ostsee- und den Russlandhandel, Geschäfte gemacht. Die europäische Expansion seit dem späten 15. Jahrhundert trug zwar dazu bei, dass zunächst durch die Kontrolle der Silberförderung der Handel zwischen Asien und Europa in einer (europäischen) Handelsorganisation zusammengefasst und Amerika in den Interkontinentalhandel integriert wurde. Lässt man zu Zahlungszwecken verwendete Edelmetalle beiseite, so bestand der Interkontinentalhandel in dieser Ära aber meist aus Luxusgütern, und es lassen sich auch nur relativ wenige Beispiele von Preiskonvergenz finden. Das Volumen des Interkontinentalhandels war im Vergleich zum europäischen Fernhandel bis ins späte 17. Jahrhundert relativ gering. Auch in den asiatischen Handelsräumen stellten die Europäer nur eine unter zahlreichen anderen Händlergruppen dar, und die europäische Weltwirtschaft koexistierte mit mehreren Weltreichen, unter anderem China und dem Osmanischen Reich.
Als Beginn der dritten Phase, die zur heutigen globalen Wirtschaft hinführte, kann die rasche Ausweitung der europäischen Wirtschaft zur sogenannten Atlantischen Ökonomie in den mittleren Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts gelten. Diese Ära war erstens durch eine starke Zunahme der Bedeutung von Grundnahrungsmitteln und industriellen Rohwaren im Fernhandel, zweitens durch markante internationale Preiskonvergenz sowohl von Gütern als auch von Löhnen, drittens durch zeitweise freie transkontinentale Mobilität von Arbeitskräften in großem Ausmaß sowie viertens durch die Entstehung internationaler Kapitalmärkte geprägt.
Gründe für das Wachstum des Fernhandels vom 16. zum 18. Jahrhundert
Seit mindestens dem 16. Jahrhundert wuchs das Volumen des Fernhandels deutlich rascher als die europäische Bevölkerung und Wirtschaftsleistung. So nahm die um das Kap der Guten Hoffnung von Asien nach Europa segelnde Schiffstonnage vom 16. zum 18. Jahrhundert mit einer mittelfristig stabilen Jahresrate von 1,1 % zu. Die Bevölkerung Europas (ohne Russland) wuchs in diesen drei Jahrhunderten nur mit einer Jahresrate von 0,3 %, das Pro-Kopf-Einkommen der westeuropäischen Wirtschaften großzügig gerechnet mit 0,2 %. Vor allem seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entwickelte sich der Transatlantikhandel noch deutlich rascher als der europäische Asienhandel. So nahm die Zahl der aus Afrika nach Amerika verschleppten und verkauften Sklaven, die ihrerseits von großer Bedeutung für die Herstellung der von Amerika nach Europa exportierten tropischen Konsumgüter waren, im Mittel zwischen 1525 und 1790 jährlich um 2,1 % zu.3
Kein Sinken von Transport- und Kommunikationskosten
Die Ära der europäischen Weltwirtschaft vor 1850 war dadurch geprägt, dass es kaum Fälle von Preiskonvergenz gab, was seinerseits aus dem Fehlen einer frühneuzeitlichen Transportrevolution folgte.4 Erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts war die Ausweitung der europäischen zur globalen Weltwirtschaft vor allem aufgrund von revolutionären Erfindungen in der Transport- und Kommunikationstechnik möglich, welche die Kosten von Transport und Kommunikation drastisch reduzierten (siehe Abschnitt 5.1).
Ausweitung der Nachfrage und Veränderung von Präferenzen
Während das Volkseinkommen pro Kopf in Europa vor der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur sehr langsam wuchs, nahmen die Einkommen der Elite, die in überdurchschnittlichem Ausmaß gehandelte Güter nachfragte, deutlich zu. Dies hing mit dem Wachstum des Staats als Quelle von Eliteeinkommen sowie mit dem Bevölkerungswachstum zusammen: Dadurch war eine intensivere Bodenbearbeitung möglich, so dass sich die Landrente erhöhte. Die Zunahme der Eliteeinkommen erklärt einen erheblichen Teil des Wachstums des europäischen Interkontinentalhandels vor 1800. Frühe Globalisierung hing also eng mit einer langfristigen Zunahme der Einkommensungleichheit zusammen.5
Darüber hinaus veränderten sich im späteren 17. und 18. Jahrhundert nicht nur unter der Elite, sondern auch in der breiten Bevölkerung Europas die Präferenzen, so dass man von einer Konsum- bzw. Fleißrevolution sprechen kann. Im späten 17. Jahrhundert brach die ständische Normierung der Bedarfsdeckung weitgehend zusammen, während Luxuskonsum legitim wurde. Dadurch stieg der Nutzen der Bedarfsdeckung: Mit modischen Kleidern ließ sich sozialer Status gewinnen, und mit geschmackvoll ausgewählten häuslichen Gegenständen konnte individuelle Identität schärfer herausgestellt werden. Dies verlagerte nicht nur die Präferenzen hin zu differenzierten und gehandelten Gütern, sondern auch von der Muße hin zur Arbeit, da der Nutzen der durch Arbeit erlangbaren Güter gestiegen war.6
Ausweitung des Angebots
In einigen Fällen legte die Preisstabilität interkontinental gehandelter Güter trotz wachsender Handelsvolumina eine Angebotsausweitung nahe. Wichtige Beispiele betreffen Pfeffer im 16. und Tee im 18. Jahrhundert. Auch die säkulare Silberinflation der Neuzeit impliziert letztlich, dass die Silbergewinnung langfristig real günstiger wurde. Die Ausweitung des Angebots gehandelter Güter in außereuropäischen Gebieten, die durch Zwang, organisatorische Innovationen oder auch monetäre Bedürfnisse (vor allem in China) zustande kam, leistete deshalb einen wichtigen Beitrag zu früher Globalisierung.7
Institutioneller Wandel
In der Neuzeit fand in Westeuropa ein Wandel wirtschaftlicher Institutionen statt, der vermutlich die Transaktionskosten des von Europäern betriebenen Fernhandels senkte und damit sein Wachstum begünstigte.8 Der Einfluss dieses Vorgangs im Vergleich zu den bisher genannten Wachstumsfaktoren ist allerdings schwierig zu untersuchen. Wenigstens für die Vereinigte Ostindische Companie der Niederlande, die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts einen Großteil des Handels zwischen Asien und Westeuropa auf sich vereinigen konnte, sind überzeugend institutionelle Erfolgsfaktoren ins Feld geführt worden. Sie umfassten insbesondere die Schaffung eines permanenten Kapitalstocks in Übersee sowie die Unterwerfung der militärischen Expansionsstrategie unter ein kaufmännisches Kalkül.9
Phasen der Globalisierungsgeschichte seit Mitte des 19. Jahrhunderts
Im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts beschleunigte sich das Wachstum des internationalen Güteraustauschs. Insgesamt wuchs die Weltwirtschaft im 19./20. Jahrhundert mit knapp 4 % pro Jahr und somit etwa doppelt so rasch wie das Volkseinkommen der entwickelten Volkswirtschaften seit dem späten 19. Jahrhundert (ca. 1,5–2,0 %). Allerdings erfolgte dieses Wachstum keineswegs gleichmäßig und veränderte über die Zeit hinweg seinen Charakter. Insgesamt lassen sich bis ins frühe 20. Jahrhundert vier Phasen unterscheiden:
Die Ära der Atlantischen Ökonomie, ca. 1850–1931
Schwerpunkt des Wachstums der Weltwirtschaft in dieser Ära waren Europa und dünn besiedelte Siedlerkolonien in gemäßigten Klimazonen anderer Kontinente (insbesondere die USA; sekundär Argentinien, Kanada, Australien; mit Vorbehalt Russland). Der Handel bezog sich in erster Linie auf den Austausch von Industriegütern gegen Grundnahrungsmittel und Industrierohstoffe.
Die wirtschaftliche Entwicklung in dieser Ära wurde stark durch die Erschließung von Landreserven in Übersee für die Produktion von Rohwaren für den Export bestimmt. Hierzu war einerseits die Einwanderung von möglichst vielen Siedlern erforderlich, und in der Tat wanderten in diesem Zeitabschnitt bis zur Weltwirtschaftskrise ca. 50 Millionen Menschen aus Europa in andere Kontinente aus[]. Dies ist etwa das Vier- bis Fünffache der nach Amerika verschleppten afrikanischen Sklaven in der Frühen Neuzeit; eine vergleichbare Integration transkontinentaler Arbeitsmärkte wurde bisher nicht wieder erreicht. Andererseits mussten die neuen Siedler mit Infrastruktur ausgestattet werden. Die Erschließungsinvestitionen in Übersee wurden durch massive Kapitalexporte aus Europa finanziert; in Großbritannien, der wichtigsten Quelle internationaler Kapitalflüsse in dieser Ära, machten zwischen den 1870er Jahren und 1913 die Kapitalexporte im Mittel ca. 4,5 % des Volkseinkommens aus. Erst seit den 1990er Jahren haben internationale Kapitalmärkte wieder eine vergleichbare Integration wie in den Jahrzehnten vor dem ersten Weltkrieg erreicht.
Gebiete in Asien, Amerika und Afrika, die sich nicht als Siedlungsraum für europäische Auswanderer eigneten, profitierten deutlich weniger vom Wachstum der Weltwirtschaft. In diesen Zonen entwickelten sich Volkswirtschaften, die dann im dritten Viertel des 20. Jahrhunderts als einkommensschwache Dritte Welt bezeichnet wurden.
Deglobalisierung, 1931–1944
Nach dem Ersten Weltkrieg stagnierte die Weltwirtschaft, die dann in der Weltwirtschaftskrise (1929–1932) einen regelrechten Zusammenbruch erfuhr. Real brach der Handel um 20 % ein, doch wegen der Deflation, die gehandelte Güter stärker als nicht gehandelte Güter erfasste, war der wertmäßige Einbruch noch deutlich stärker. Aufgrund verbreiteter Zahlungsunfähigkeit souveräner Schuldner brachen internationale Kapitalmärkte zusammen. Institutionell drüDeutschland 1934) aus.
Die organisierte Weltwirtschaft, 1944–1973
In dieser Ära, die ab ca. 1950 auch durch ein im historischen Vergleich einmalig rasches Wachstum des Volkseinkommens in den einzelnen Volkswirtschaften geprägt war, stellte sich der weltwirtschaftlichen Integrationsgrad der entwickelten Länder im Gegensatz zur Dritten Welt rasch wieder ein und stieg in etwa auf das unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg vorhandene Niveau. Allerdings war diese Rekonstruktion der Weltwirtschaft auf den Güterhandel beschränkt.
Um einen großen Handlungsspielraum zu wahren und die Konjunktur innerhalb der einzelnen Volkswirtschaften zu steuern, wurden internationale Wirtschaftsbeziehungen durch in beträchtlichem Ausmaß formalisierte Regimes organisiert. Am bedeutendsten war zweifellos das aus der 1944 abgehaltenen Konferenz der Alliierten in Bretton Woods (New Hampshire, USA) zur Wiederherstellung internationaler Wirtschaftsbeziehungen hervorgegangene Währungsregime (1944–1973). Im westlichen Europa wurde es ergänzt durch die Anfänge der europäischen Integration, die zu Beginn vor allem die Vernetzung im wirtschaftlichen Bereich beförderte.
Von der Stagflation zum neuen Globalisierungsschub, 1970er–1990er Jahre
Die 1970er Jahre waren durch den Zerfall der Ordnung von Bretton Woods, inflationäre Schocks und niedriges Wirtschaftswachstum in den entwickelten Volkswirtschaften geprägt. Die zu Beginn der 1980er Jahre in führenden Volkswirtschaften (vor allem in den USA) vollzogene monetäre Stabilisierung ging mit verbreiteter Rezession und einem Zinsschock einher, der in der Dritten Welt zu einer Welle von Zahlungsschwierigkeiten souveräner Schuldner, also einer Schuldenkrise, führte.
Parallel zur makroökonomischen Stabilisierung erfolgte seit etwa 1980 in zahlreichen Ländern eine Reihe von strukturellen Reformen. Die bevölkerungsreichsten Volkswirtschaften, China und Indien, die sich im dritten Viertel des 20. Jahrhunderts stark von der Weltwirtschaft abgeschottet hatten, schwenkten auf einen exportorientierten Wachstumspfad um und liberalisierten ihre Außenwirtschaften. Zahlreiche andere asiatische und lateinamerikanische Länder, insbesondere Brasilien, schlossen sich an. Hintergrund dieser Umorientierung war die Erschöpfung des Wachstumspotentials importsubstituierender Industrialisierung, die seit dem Zusammenbruch der Rohwarenpreise in der Weltwirtschaftskrise auf die Versorgung kleiner, abgeschotteter nationaler Volkswirtschaften ausgerichtet war. In hochentwickelten Ländern erfolgte eine Deregulierung zahlreicher Märkte, etwa der Arbeitsmärkte, der Märkte für Transportdienstleistungen und insbesondere der Kapitalmärkte. Diese Reformen erfolgten vor dem Hintergrund des Sachverhalts, dass sich die Instrumente der Konjunktursteuerung innerhalb nationaler Volkswirtschaften in den 1970er Jahren als weitgehend wirkungslos erwiesen hatten.
Zusammen mit der informationstechnischen Revolution, die Kommunikation über weite Räume stark beschleunigte und verbilligte, lösten diese strukturellen Reformen eine neue Globalisierungswelle aus. Insbesondere erfuhren internationale Kapitalmärkte eine Renaissance, und industrielle Direktinvestitionen multinationaler Unternehmen nahmen stark zu.10 Parallel wandelte sich die Struktur des Güterhandels: Während die Ära der Atlantischen Ökonomie durch den Tausch von Rohwaren gegen Industriegüter geprägt war, so bestätigte die zweite Globalisierungswelle am Ende des 20. Jahrhunderts einen seit den 1950er Jahren erkennbaren Trend zur Dominanz des intraindustriellen Handels.
Erklärungen für den Globalisierungsschub um die Mitte des 19. Jahrhunderts
Technologischer Fortschritt
Eine klassische Erklärung des ersten Globalisierungsschubs verweist auf technische Innovationen, insbesondere auf den Dampfeisenbahnbau (die Hauptstrecken entstanden im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts), den Übergang der Hochseeschifffahrt zu Dampfern mit Stahlrümpfen (ab den 1850er Jahren) sowie den elektrischen Telegraph (Fernstrecken ab den 1850er Jahren). Diese Innovationen konnten Transport und Informationsübermittlung sowohl verbilligen als auch beschleunigen und optimierten deshalb die internationale Arbeitsteilung.11
Empirisch wurde die Marktintegration im 19. Jahrhundert vor allem durch den Vergleich der Getreidepreise in möglichst zahlreichen Städten untersucht. Diese Studien zeigen mittlerweile, dass sich die europäischen Getreidemärkte seit etwa 1820 erkennbar vernetzten und dass die USA im Wesentlichen erst nach dem Bürgerkrieg (1861–1865) an diesen bereits gut integrierten internationalen Getreidemarkt angeschlossen wurden.12 Dies legt nahe, die Produktivitätsfortschritte im grenzüberschreitenden Transport- und Kommunikationswesen auf die industrielle Revolution zurückzuführen: Diese erfolgte ungleichgewichtig, d. h. auf wenige Führungssektoren (vor allem Textil-, sekundär Eisenverarbeitung), sowie auf wenige Regionen in England und auf dem europäischen Festland begrenzt. Die industriellen Führungssektoren waren deshalb stark exportorientiert. Die daraus resultierende starke Zunahme des internationalen Handels zog ein Wachstum des Dienstleistungssektors nach sich, das einerseits Skalen- und Spezialisierungsgewinne und damit inkrementelle Produktivitätsfortschritte bewirkte und andererseits Anreize für technische Innovationen in diesem Sektor setzte.
Institutionelle Erklärungen
Ergänzend wird der erste Globalisierungsschub um 1850 immer wieder mit der Liberalisierung des Freihandels sowie mit der Durchsetzung des Goldstandards in Verbindung gebracht. Beide Vorgänge scheinen aber von sekundärer Bedeutung gewesen zu sein.
Großbritannien liberalisierte seinen Außenhandel durch die Abschaffung der Corn Laws (1846) sowie der Navigation Acts (1849). Die kontinentale Freihandelsbewegung führte 1860 zum sogenannten Cobden-Chevalier-Vertrag zwischen Großbritannien und Frankreich, der stellvertretend von Richard Cobden (1804–1865) und Michel Chevalier (1806–1879) unterzeichnet wurde. Um eine Diskriminierung ihrer Exporte zu vermeiden, bemühten sich weitere europäische Länder um den Abschluss von Freihandelsverträgen zunächst vor allem mit Frankreich; bis 1875 entwickelte sich ein Netz von mehr als 50 in ihrer Struktur ähnlichen Verträgen. Durch die Liberalisierung des Transitverkehrs und die Einführung der Meistbegünstigungsklausel, die festschreibt, dass Handelsvorteile nicht nur einem, sondern allen Handelspartnern gewährt werden müssen, entwickelte sich eine Art internationales Regime, das die erneute Anhebung von Zöllen ab Ende der 1870er Jahre überlebte. Die unmittelbaren Auswirkungen auf den bilateralen Handel waren dagegen selektiv auf wenige, für die jeweiligen Vertragspartner allerdings wichtige Industriegüter begrenzt.13
Der Goldstandard, der sich zuerst in Großbritannien in den 1820er und 1840er Jahren herausbildete, stabilisierte das Vertrauen in die Wertbeständigkeit von Papiergeld durch Regeln bezüglich seiner Einlösung in Gold durch eine Zentralbank sowie bezüglich der teilweisen Deckung des umlaufenden Papiergelds durch Gold. Zudem betrieben die Zentralbanken unter dem Goldstandard erstmals eine gezielte Geldpolitik mit Geschäften auf Geld- und Kapitalmärkten. Der Übergang Deutschlands zum Goldstandard (1871–1876) löste eine Kettenreaktion aus, so dass sich bis in die 1880er Jahre ein internationaler Goldstandard mit einem System fester Wechselkurse herausbildete. Man kann argumentieren, dass die Ausschaltung des Wechselkursrisikos den internationalen Handel und Kapitalverkehr begünstigt. Zwar konnten Länder, die den Goldstandard akzeptierten, zu günstigeren Zinsen als Länder mit anderen Währungsregimes internationale Anleihen platzieren, doch ein Effekt des internationalen Goldstandards auf den internationalen Güterhandel ist nicht nachgewiesen.14
Endogenes Ende der ersten Globalisierungswelle
Die starke Auswanderung der Europäer in außereuropäische Gebiete in gemäßigten Klimazonen bewirkte bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts eine internationale Angleichung der Reallöhne innerhalb der Atlantischen Ökonomie: In Übersee wurden Arbeitskräfte weniger knapp, während in den Herkunftsgebieten die Auswanderung und das Wirtschaftswachstum den Bevölkerungsdruck linderte. Die Senkung von Transport- und Informationskosten bewirkte ihrerseits, dass sich diesseits und jenseits des Atlantiks die Güterpreise allmählich anglichen, so dass über die Zeit hinweg die Kräfte, die die Expansion der Atlantischen Wirtschaft angetrieben hatten, erlahmten.
Darüber hinaus riefen Preis- und Lohnkonvergenz Globalisierungsverlierer auf den Plan, die sich in Interessengruppen organisierten und innerhalb der nationalen politischen Systeme auf die Einführung von Globalisierungshemmnissen drangen, um die sie benachteiligenden Globalisierungsfolgen zu mildern, wenn nicht aufzuheben. In Übersee waren dies in erster Linie die Arbeitnehmer, die zum Schutz ihrer hohen Löhne die Einführung von Barrieren gegen weitere Einwanderung forderten. Ihre Bemühungen waren insofern von Erfolg gekrönt, als im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts die USA und andere Zielländer der europäischen Auswanderung zunehmend restriktivere Einwanderungsvorschriften entwickelten, die zusammen mit den abflachenden Reallohnunterschieden die transatlantischen Menschenströme bis in die 1930er Jahre weitgehend zum Versiegen brachten.15
Auf dem alten Kontinent verringerte das Überangebot an amerikanischem Getreide die Bodenrente von Großgrundbesitzern und Überschüsse produzierenden Bauern, so dass eine Schutzzollbewegung entstand. Beginnend mit Deutschland im Jahre 1879 führten eine Reihe von kontinentaleuropäischen Ländern Getreidezölle ein, die nach dem ersten Weltkrieg nochmals deutlich erhöht wurden und den internationalen Getreidehandel in der Zwischenkriegszeit behinderten.16
Die allgemeine Erkenntnis dieser Befunde liegt darin, dass Globalisierung kein Selbstläufer ist: Globalisierungsschübe können dergestalt beschaffen sein, dass die sie hervorrufenden Ungleichgewichte langfristig beseitigt werden, so dass die auf die Vertiefung weltwirtschaftlicher Integration hinwirkenden Kräfte von selbst erlahmen. Soweit Globalisierung überdies unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen in unterschiedlicher Weise betrifft, können sich Globalisierungsverlierer in Interessengruppen organisieren, die auf die Errichtung von Globalisierungshemmnissen hinwirken. Deglobalisierung kann somit die endogene Folge vorausgegangener Globalisierung sein.
Die Rolle weltwirtschaftlicher Faktoren in der Weltwirtschaftskrise (1929–1932)
Vor der sich seit 2008 entwickelnden Krise stellte die Weltwirtschaftskrise von 1929 die größte internationale Krise der modernen Ära dar und mündete in eine Ära der Deglobalisierung. Umgekehrt wies sie in mehrerer Hinsicht internationale Aspekte auf, von denen zwei hervorgehoben werden sollen:
Erstens ging dem extremen Preisverfall von 75 % bei landwirtschaftlichen Rohwaren (1925–1933) ein latenter Angebotsdruck nach dem Ersten Weltkrieg voraus. Die Emigration aus Europa erreichte ihren Höhepunkt in den letzten Vorkriegsjahren; in den frühen 1920er Jahren gelangte die daraus folgende Mehrerzeugung an überseeischen Stapelgütern auf die internationalen Märkte. Umkehrt erholte sich nach dem Krieg durch die Wiedereingliederung des Militärpersonals in die Friedenswirtschaft die landwirtschaftliche Produktion in Europa, und diese wurde durch im Vergleich zur Vorkriegszeit eher noch höhere Zollmauern geschützt. Ab Mitte der 1920er Jahre versuchten die USA und Kanada durch staatliche Depots die Agrarpreise zu stabilisieren. Vor allem die Versuche der UdSSR und Australiens, durch Mehrproduktion ihre Erlöse zu wahren, ließen diese Politik 1929 scheitern und trugen zu einer gravierenden Deflation bei, die in den USA auch mit Zusammenbrüchen zahlreicher die Landwirtschaft finanzierender Regionalbanken einherging. Auch die deutsche Bankenkrise im Sommer 1932 stand mit der Deflation von Rohwarenpreisen im Zusammenhang.17
Zweitens trugen Verwerfungen der internationalen Währungspolitik und insbesondere das aus dem Goldstandard folgende System fester Wechselkurse maßgeblich zur Verschärfung der internationalen Wirtschaftskrise bei. Denn feste Wechselkurse übertragen einen in einem bestimmten Land (hier vor allem in den USA) auftretenden deflationären Impuls weitgehend ungehindert in andere Volkswirtschaften: Die Preissenkung inländischer Güter macht diese auf den Weltmärkten konkurrenzfähiger, so dass Exporte zu- und Importe abnehmen. Die Angst vor Goldverlusten veranlasst die Zentralbanken der Handelspartner bei einem System fester Wechselkurse dazu, die inländische Nachfrage mittels einer Hochzinspolitik zu verringern, was aber ebenfalls einen deflationären Druck ausübt. Deflation schließlich wirkt sich negativ auf das Wirtschaftswachstum aus, weil sie Konsumenten zu Kaufzurückhaltung veranlasst und die Kapitalrendite reduziert (am Ende eines Produktionsprozesses sind Erlöse niedriger als zu Beginn antizipiert). Entsprechend bestand die wichtigste Maßnahme zur Krisenbewältigung nach 1929 in der Aufgabe des Goldstandards und im Übergang zu einer expansionären Geldpolitik; im internationalen Vergleich erholten sich die einzelnen Länder umso rascher, je früher sie den Goldstandard aufgegeben hatten. Die Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise haben die Geldpolitik der Zentralbanken in der Krise seit 2008 maßgeblich beeinflusst; auch der seit 2006 amtierende Präsident des US-amerikanischen Notenbanksystems, Ben Bernanke (geb. 1953), hat sich unter anderem an der Erforschung der hier dargestellten Zusammenhänge beteiligt.18
Warum war das System von Bretton Woods so kurzlebig?
Die Ära von Bretton Woods (1944/58–1973) war wie erwähnt durch ein einmalig hohes Wirtschaftswachstum geprägt. Obwohl dies im Detail schwer nachzuweisen ist, liegt die Vermutung nahe, dass die spezifische Ausgestaltung des Währungsregimes dazu einen Beitrag geleistet hat. Denn es konnte durch eine Kombination geringer Wechselkursschwankungen mit stabilen Inflationsraten und ebenfalls stabil niedrigen Realzinsen die Kapitalkosten senken und somit den in dieser Zeit stattfindenden Übergang zu einer kapitalintensiven Produktionsweise nach US-amerikanischem Vorbild unterstützen.
Doch warum hatte dieses Regime eine derart kurze Lebensdauer? Im Wesentlichen funktionierte das Währungsregime von Bretton Woods dergestalt, dass das US-amerikanische Zentralbanksystem die Goldkonvertibilität des US-Dollar zum Preis von 35 Dollar pro Unze Gold aufrecht erhielt und die übrigen Notenbanken durch Käufe und Verkäufe von US-Dollars den Wechselkurs ihrer Währung gegenüber dem US-Dollar stabil hielten. Verantwortlich für das Scheitern des Regimes war im Wesentlichen das nach dem belgischen Ökonomen Robert Triffin (1911–1993) benannte Triffin-Paradox:19 Aufgrund des raschen Wachstums des Welthandels in den 1950er und 1960er Jahren (siehe Abschnitt 4.3) wurden mehr Zentralbankreserven benötigt, um durch Handelsschwankungen bedingte kurzfristige Wechselkursveränderungen ausgleichen zu können. Die Goldförderung wuchs jedoch in dieser Zeit deutlich langsamer als der Welthandel, so dass zunehmend US-Dollar als Reservemedium genutzt wurden. Da die Zentralbankreserven der europäischen Länder am Ende des Zweiten Weltkriegs erschöpft waren, mussten diese hauptsächlich eine aktive Leistungsbilanz gegenüber den USA erwirtschaften, um Reserven aufzubauen. Somit waren häufige Defizite der Leistungsbilanz bzw. der Kapitalbilanz (aufgrund wachsender Auslanddirektinvestitionen US-amerikanischer Unternehmen) seitens der USA einerseits Voraussetzung dafür, dass die Zentralbankreserven der übrigen Länder in Einklang mit dem Wachstum des Welthandels ansteigen konnten. Diese Defizite folgten aus Inflation und Budgetknappheiten, die ihrerseits durch hohe Militärausgaben im Vietnamkrieg und wachsende Sozialausgaben verursacht worden waren. Andererseits unterminierte der Anstieg der in US-Dollar lautenden Forderungen angesichts der schwindenden Goldreserven des US-amerikanischen Notenbanksystems das internationale Vertrauen in die Goldkonvertibilität des US-Dollar.
Letzterer Sachverhalt führte im Verlauf der 1960er Jahre zu zunehmenden Verwerfungen an den internationalen Goldmärkten sowie zu einem wachsenden Aufwertungsdruck auf die Währungen von Überschussländern, vor allem auf die Deutsche Mark und den Yen. Die Überschüsse der Leistungsbilanz bewirkten überdies, dass sich die hohe Inflation in den USA auf Japan und die BRD übertrug. Es war in erster Linie dieser Sachverhalt, der schließlich die Deutsche Bundesbank 1971 zur Aufgabe eines festen Wechselkurses zum US-Dollar veranlasste. Bis 1973 wurde die Goldkonvertibilität des US-Dollar eingestellt, und feste Wechselkurse wurden in den meisten entwickelten Ländern aufgegeben.
Die Entstehung der Dritten Welt
Gebiete in Asien, Amerika und Afrika, die sich nicht als Siedlungsraum für europäische Auswanderer eigneten, wurden nur begrenzt von der Wachstumsdynamik der Atlantischen Welt erfasst. Im Vergleich zu letzterer waren dies Länder, deren Rohstoffe weniger begehrt waren, die bereits über große autochthone Bevölkerungen verfügten und in denen die Gewinnung exportfähiger Rohwaren weniger arbeitsintensiv war, was besonders auf Bergbauprodukte zutrifft.
Zwar erhöhten sich auch in den außereuropäischen Ländern, die sich nicht zu Zielen der europäischen Auswanderung entwickelten, vom frühen 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert die Preise ausgeführter Rohwaren relativ zu importierten Manufakturgütern. Da diese Länder jedoch überwiegend herkömmliche Kolonialwaren exportierten (insbesondere Zucker, Kaffee, Tee), erfuhren sie weniger starke Wachstumsimpulse durch die Globalisierung als solche Gebiete, die sich auf neue Handelsgüter in der Form von Grundnahrungsmitteln und Industrierohstoffen spezialisierten. Überdies waren ihre Exporte durch besonders starke Preisschwankungen geprägt, möglicherweise weil es sich um einkommenselastisch nachgefragte Güter handelte. Diese starken Schwankungen der Preise von Exporten im Vergleich mit den Importen wirkten sich negativ auf das Wirtschaftswachstum aus.20
Diesen Zusammenhang vermittelten die Verschuldungskrisen: Zwar floss Kapital überwiegend in europäische Siedlungskolonien, aber alte Peripherien der Weltwirtschaft, die vor allem herkömmliche Rohwaren herstellten, waren in konjunkturellen Abschwüngen überdurchschnittlich häufig von Zahlungskrisen betroffen, die ihrerseits gravierende Verwerfungen nach sich zogen, die bis zum Verlust der Selbständigkeit führen konnten. Dies geschah etwa in Ägypten, das 1884 von den Briten besetzt wurde und bis zum Zweiten Weltkrieg unter dem Einfluss des Vereinigten Königreichs blieb.21
Das im Vergleich niedrigere und langsamer wachsende Einkommen in der entstehenden, erst später so genannten Dritten Welt führte dazu, dass sich lange keine Nachfrage entwickelte, die den Aufbau einer lokalen Industrie gerechtfertigt hätte. Nicht zuletzt über demographische Zusammenhänge ergaben sich daraus langfristig negative Rückkoppelungseffekte: Dort, wo die industrielle Entwicklung mehr Humankapital erforderte als die Produktion von landwirtschaftlichen Erzeugnissen mit einfacher Technologie, schuf sie einen Anreiz für die Familien, die Kinderzahl zu begrenzen und dafür Zeit und Geld für deren Erziehung einzusetzen. Die Spezialisierung auf die Herstellung von Rohwaren, deren Herstellung wenig Fähigkeiten und Wissen benötigten, führte hingegen dazu, dass Eltern eine größere Anzahl an Kindern bevorzugten. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wuchs daher die Bevölkerung in den wenig industrialisierten Ländern stark, so dass Einkommensgewinne aus Wirtschaftswachstum wieder aufgezehrt und globale Einkommensunterschiede zementiert, wenn nicht verstärkt wurden.22 Erst mit der Liberalisierungswelle seit den späten 1970er Jahren und der in dieser Zeit einsetzenden mikrotechnischen Revolution, welche die weiträumige Übermittlung von Informationen zwischen und innerhalb von Unternehmen drastisch beschleunigte und verbilligte, gelang es einer Reihe sogenannter aufstrebender Volkswirtschaften, Globalisierungskräfte zu aufholendem Wirtschaftswachstum zu nutzen.